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Alanna - Das Lied der Loewin

Alanna - Das Lied der Loewin

Titel: Alanna - Das Lied der Loewin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamora Pierce
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geben.
    Draußen im Dorf lag eine lautlose Spannung in der Luft. Für die Stammesleute war die Wahl einer Stimme wichtiger als die Krönung eines Königs. Die Stimme der Stämme war den Bazhir Priester, Vater und Richter zugleich. Halef Seif hatte Alanna erklärt, dass derjenige, der das Amt der Stimme innehatte, nie ohne das Einverständnis eines Großteils seines Volkes handelte. Das Wissen um die Gedanken und die Gefühle seiner Leute war eine zu große Last für ihn, als dass er auch nur in Betracht gezogen hätte, ihnen zu trotzen. Dieses Wissen bestärkte Alanna in ihrer Überzeugung, dass sie niemals während jener Augenblicke bei Abenddämmerung mit der Stimme Zwiesprache halten wollte. Sie hatte schon Mühe genug sich selbst zu verstehen; sie wollte nicht, dass ein anderer um ihre Gedanken und ihre Probleme wusste – selbst wenn dieser andere so objektiv war, wie es von der Stimme vorausgesetzt wurde. Während der Stamm zu Abend aß, ging Alanna zu Jonathan. Der Prinz hatte gefastet;
nun sah er blass und entschlossen aus in seinem weißen Burnus.
    »Ich wollte dir Glück wünschen«, erklärte sie. Sie wusste nicht so recht, wie sie mit ihm reden sollte. Er bereitete sich darauf vor, eine Last zu übernehmen, die sie um jeden Preis abgelehnt hätte. Einen Moment lang sah er sie an, als kenne er sie nicht. Dann erhob er sich und breitete die Arme aus. »Sag mir, dass du mich liebst«, bat er und versuchte zu lächeln. »Ich brauche etwas Ermutigung.«
    Sie rannte in seine Arme und drückte ihn ebenso fest an sich wie er sie. »Natürlich liebe ich dich«, sagte sie. »So viel steht fest.«
    Er sagte nichts und hielt sie so eng an sich gepresst, dass ihr die Rippen schmerzten. Schließlich wagte sie zu sagen: »jon? Warum willst du die Stimme werden? Du bist schon jetzt so ruhelos.«
    »Ich muss die Stimme werden«, erwiderte er leise. »Wenn ich es schaffe, wenn ich das Oberhaupt der Bazhir werde, dürfte es nur noch wenige Geheimnisse der menschlichen Seele geben, die mir unverständlich sind. Die Bazhir unterscheiden sich nicht sonderlich von uns. Wenn ich sie kenne, wenn ich weiß, wie sie denken, dann weiß ich, wie die meisten Leute denken. Mit diesem Wissen kann ich der größte – der beste – Herrscher werden, den es jemals gab.«
    »Ist das so wichtig für dich?«
    »Es ist das, wozu ich geboren wurde.« Er klang schroff. »Es ist das, was ich tun werde. Trotz meiner Ruhelosigkeit. Trotz allem.«
     
    Jonathan und Ali Mukhtab standen auf der Spitze des Berges. Zwischen ihnen brannte ein Feuer, dessen Flammen bis
in Hüfthöhe loderten. Aus irgendeinem Grund stand die Stimme allein. Keiner war da, um ihn aufzufangen, falls er stürzte. Alanna wartete in einiger Entfernung mit den anderen Schamanen. Es war nicht gestattet, dass sie näher kamen, bevor die Zeremonie vorüber war. Es war ihnen auch untersagt, ihre Zauberkraft zu benutzen.
    Trusty stand auf den Hinterbeinen und stemmte die Vorderpfoten gegen Alannas Schenkel. Ohne die Szene vor sich aus den Augen zu lassen, hob sie ihn hoch, wobei sie sich Mühe gab ihn nicht allzu fest anzupacken. Sie zitterte vor Furcht, denn auf das, was nun geschehen würde, hatte sie nicht den geringsten Einfluss.
    Ali Mukhtab hob die Hände und stimmte einen Sprechgesang an. Ganz plötzlich war seine Stimme voller Kraft. Die Sprache war altertümlich, sie stammte noch aus der Zeit, als die Bazhir in steinernen Gebäuden jenseits des Binnenmeers gelebt hatten, und Alanna verstand die Worte nicht. Aber sie konnte die Macht fühlen, die langsam die Luft erfüllte: eine dunkle, brodelnde Kraft, die dem Kristallschwert an ihrer Hüfte antwortende Töne entlockte. Geistesabwesend berührte sie das Heft und befahl ihrem Schwert im Stillen, Ruhe zu geben. Das Geräusch ließ nach, aber sie spürte die Waffe immer noch beben.
    Ali Mukhtab beendete seinen Sprechgesang, als ein plötzlich aufkommender starker Wind die Gewänder gegen die Gesichter ihrer Besitzer flattern und kleine Staubteufel von der Erde aufsteigen ließ.
    »Jonathan von Conté.« Mukhtabs Stimme war leise, dennoch brauste und hallte sie durch die Luft. »Du kommst, ein Fremder aus dem Norden, und suchst eins zu werden mit den Bazhir. Aus welchem Grunde sollten wir dir, Sohn des
Tortaller Königs, erlauben diesen heiligsten Kreis unseres Volkes zu betreten?«
    An Jonathans Gesichtsausdruck konnte Alanna ablesen, dass dies nicht Teil des Rituals war. Der Prinz musste ehrlich antworten, während die

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