Alanna - Das Lied der Loewin
würfelten.
Georg vergewisserte sich, dass jedes der sechs Messer, die er bei sich trug, bereit war. Dann nickte er Ercole zu, trat mit dem älteren Mann auf den Fersen ins Licht und tippte Kralle auf die Schulter. »Dank dir, dass du mir meinen Platz warm gehalten hast, Freund«, sagte er mit betont süßlicher Stimme.
Kralle fuhr hoch und warf dabei seinen Humpen um. Dunkles Bier lief unbeachtet über seine Kniehose, während er zu Georg hochstarrte. »Aber ... du ...«
»Ich weiß, ich hab gesagt, dass ich noch ’ne Weile in Caynnhafen bleiben will«, sagte Georg freundlich. »Aber stell dir vor, ich kriegte mächtig Sehnsucht nach all diesen freundlichen Gesichtern, und mir wurde langweilig ohne diese Bande, die mich in Trab hält.« Orem und Shem hatten sich bei der Vordertür aufgestellt, wo sie mit gezogenen Messern Wache hielten. Zwei andere Männer, denen Georg, wie er wusste, trauen konnte, kamen herbei, um den Hinterausgang und Ercoles Rücken zu decken. »Du tropfst«, fügte Georg hinzu und rutschte auf seinen »Thron«, ohne Kralle auch nur eine Sekunde lang aus den Augen zu lassen. Der Mann hatte den Ruf vollkommen überraschend zu reagieren und möglicherweise war er verrückt genug, einen sofortigen Angriff auf Georg zu wagen.
Kralle starrte Georg eine ziemliche Weile an. Seinem einzigen, fahlen Auge war nicht anzusehen, was in ihm vorging. Schließlich drehte er sich um und sagte barsch zu seinen Kumpanen: »Warum glotzt ihr so? Holt einen Lappen oder irgendwas und putzt diese Schweinerei auf!« Sein Auge blickte wieder zu Georg. »Willkommen daheim, Majestät!« Er ignorierte die ungeschickten Versuche von einem seiner Männer, ihm das Bier von der Kniehose zu wischen. »Ich hoffe, deine Heimreise verlief ohne Zwischenfälle.«
»Ein bisschen kalt war es.« Kralle hatte seine Entschlusskraft eingebüßt, aber es war ratsam, trotzdem kein Risiko einzugehen. Georg nahm von Solom einen Humpen Glühwein entgegen, ohne den alten Mann anzusehen. »War alles ruhig hier?«
»So ruhig wie im Tempel des Dunkelgottes.« Jetzt endlich machte Kralle Anstalten zu verschwinden. Seine Männer folgten.
»Bleib!«, sagte Georg mit einer einladenden Geste. »Setz dich her zu mir und erzähl, was sich in den letzten Wochen, die ich in Caynnhafen verbracht hab, so alles zugetragen hat! Es wäre echt schade, wenn ich dort die Probleme aus der Welt geräumt hätte, bloß um festzustellen, dass es dafür nun hier Ärger gibt.«
Der Einäugige zögerte. Georg hoffte, der Mann möge verrückt genug sein seine Einladung abzulehnen. Das hätte ihm eine ausreichende Entschuldigung gegeben, ihn zu einem Zweikampf herauszufordern. Mit dem Messer hatte Kralle nicht die geringste Chance gegen ihn. Da fuhr Kralle barsch einen seiner Männer an: »Geh und besorge mir einen sauberen Stuhl!«
Der Mann gehorchte sofort.
Kralle redet wie ein Edler, wurde Georg in diesem Augenblick klar.
»Ich lad dich zu ’nem Humpen ein.« Georg lächelte und winkte Solom her. »Ich hab ein Hühnchen zu rupfen mit dir.«
Kralle schüttelte den Kopf, als ihm Solom Wein anbot. Achselzuckend schenkte der Wirt Georgs Krug wieder voll. »Was soll ich getan haben, um dich zu verärgern?«, erkundigte sich Kralle. Er tat verblüfft und machte ein unschuldiges Gesicht.
»Du hast ’ne Dienstmagd überprüft und sie für fähig erklärt, mir und meinen Leuten in Caynnhafen im Haus zu dienen. Sie hat versucht mich zu vergiften. Ich denk doch, du hast ihre Vergangenheit überprüft, Meister Kralle, oder etwa nicht?«
»Eine Dienstmagd? Ich habe dir keine Dienstmagd geschickt«, entgegnete der andere Dieb.
Georg schob den schmutzigen Zettel über den Tisch, damit ihn Kralle begutachtete. Der Einäugige musterte ihn genau, spitzte den Mund, drehte und wendete das Stück Papier im Licht. Schließlich schüttelte er den Kopf und gab es wieder zurück. »Wirklich eine ausgezeichnete Fälschung«, sagte er ruhig. »Aber nichtsdestotrotz eine Fälschung. Ich habe diesen Brief niemals geschrieben.«
»Bist du sicher?«, fragte Georg leise. »Denk lieber gut nach, denn es würd mir nicht passen, wenn ich zu ’nem späteren Zeitpunkt das Gegenteil erfahren müsste.«
»Du kannst jeden hier fragen«, bot Kralle an. Dabei deutete er mit einer weit ausholenden Geste auf die gaffenden Zuhörer. »Habe ich jemals eine Dienstmagd in den Hafen geschickt, damit sie dort Seiner Majestät dient?«
Langsam schüttelten die Leute ihre Köpfe. Georg musste
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