Alanna - Das Lied der Loewin
hierherkamt, habe ich mehr als jemals zuvor über andere Frauen erfahren. Pagen und Knappen verbringen kaum Zeit mit Frauen und außerdem ...« Sie lächelte. »Ich war dafür bekannt, dass ich schüchtern war, was Mädchen betraf.«
Halef lachte in sich hinein. »Und jetzt hast du entdeckt, dass du dein eigenes Geschlecht magst?«
»Wie könnte ich die anderen Frauen nicht mögen?«, wollte Alanna wissen. »Vor allem, nachdem ich Kara und Kourrem, Mari Fahrar und Farda kennenlernte? Jetzt komme ich mir als Frau längst nicht mehr so fremd vor wie damals, bevor ich herkam.«
»Aber nun musst du weiterziehen?«, fragte Halef Seif freundlich.
»Ich hasse es, wenn ich nichts Sinnvolles mache«, gab sie zu. »Nach all den Jahren, in denen ich entweder lernte oder meinen Aufgaben im Palast nachging, ist mir das Arbeiten zur Gewohnheit geworden. Jetzt, wo Kara und Kourrem so gut zurechtkommen, gibt es nichts mehr zu tun für mich. Ich habe gedacht, ich könnte vielleicht mit Coram Richtung Süden reiten, um zu sehen, was ich dort vorfinde.«
»Ich hätte eine Aufgabe für dich, wenn du sie übernehmen magst.« Die Stimme des Häuptlings klang plötzlich zaghaft, was sie bei ihm gar nicht kannte.
»Sag mir, worum es geht.«
Er lächelte gequält. »Ich habe eine Bekannte. Sie ist Zauberin
in einem Dorf namens Alois, das in der Gegend vom Tirragensee im Hügelland liegt. Seit drei Nächten träume ich, dass sie in Lebensgefahr schwebt und dass uns ein Feuer trennt.« Er schüttelte den Kopf. »Wir wuchsen zusammen auf, bis sie ihre Zaubergabe entdeckte. Sie konnte nicht bleiben. Damals gab es keine Frau-die-wie-ein-Mann-reitet, die sagte, sie könnte Schamanin werden. Aber sie kehrt oft hierher zurück.«
Ist sie dafür verantwortlich, dass Halef Seif niemals heiratete?, überlegte sich Alanna.
»Ich würde sie selbst besuchen gehen, doch eine derartige Freiheit kann ich mir wegen meiner Pflichten hier nicht ...«
Alanna legte ihm die Hand auf den Arm. »Ich gehe. Mach dir keine Sorgen um deine Bekannte! Wenn sie in irgendwelchen Schwierigkeiten ist, werde ich mein Möglichstes tun, ihr zu helfen.«
Einen Augenblick lang legte er seine Hand auf die ihre, seine Sorgenfalten glätteten sich ein wenig. »Ich danke dir, Alanna.«
Alois lag fünf Tagesritte entfernt im Norden. Der Weg führte durch das Hügelland. Statt ihrer Burnusse zogen Coram und Alanna für die Reise Lederkleidung und Rüstungen über und Alanna stellte sicher, dass ihr unbedeckter Löwenschild deutlich sichtbar war. Als Bazhir gekleidet hätten sie möglicherweise mit Schwierigkeiten rechnen müssen. In der Aufmachung von Tortaller Soldaten begegneten sie keiner Menschenseele.
Trusty blieb auf dem ganzen Ritt in Alannas Nähe und unternahm keinen einzigen Streifzug, woran sie ablesen konnte, dass sich ihr Kater Sorgen machte. »Was wird geschehen,
wovon du mir nichts verrätst?«, fragte sie schließlich, als sie den Wegweiser passierten, der anzeigte, dass sie sich dem Dorf näherten.
Ich weiß nicht, bekannte Trusty. Ich habe nur einfach so ein seltsames Gefühl. Er machte es sich in seinem Korb bequem, zuckte dabei aber erregt mit der Spitze seines Schwanzes.
In Anbetracht dessen, dass sie erst Januar hatten, war der Tag wunderschön. Ein warmer Wind wehte; der Schnee war weggetaut. Alanna erwartete, dass Kinder draußen vor den Hütten spielten, die allmählich dichter standen, als sie sich dem Dorf näherten, aber niemand war zu sehen. Falls es Leute gab, die sie von ihren Behausungen aus beobachteten, gab es keinerlei Anzeichen dafür. Als sie ein Geräusch hörte, fuhr sie in ihrem Sattel herum. Coram holte gerade seinen runden Lederschild aus der Segeltuchumhüllung. Sein Gesichtsausdruck wirkte entschlossen.
»Mir gefällt nicht, dass hier so etwas in der Luft liegt«, gab er zu. »Dir?«
Alanna zog eine Grimasse. Sie löste die Riemen, mit denen ihr Schild mit der drohend aufgerichteten Löwin auf Moonlights Hinterbacken befestigt war, nahm ihn in die Linke und zog mit der Rechten das Kristallschwert. Es summt mich nicht mal mehr an, dachte sie verwundert. Plötzlich hörte sie lautes Geschrei. Was die Leute schrien, war nicht auszumachen, doch die Stimmen schallten von der Dorfmitte her.
Wachsam um sich blickend, trabten sie in Richtung der Schreie. Keiner kam ihnen entgegen, um sie zu begrüßen. Die Hütten des eigentlichen Dorfes lagen so verlassen da wie jene außerhalb.
Auf dem großen, offenen Platz im Herzen des
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