Alanna - Das Lied der Loewin
funktioniert es?«, fragte Alanna, die mit dem Glutstein an ihrem Hals herumspielte. »Muss man ein Zauberer sein, um damit umgehen zu können?«
»Giamo war keiner«, wandte Coram ein. »Und sieh dir an, was für einen Schaden er damit angerichtet hat.«
»Auch Norrin hatte die Gabe nicht – Anj’la allerdings war kräuterkundig und besaß die Heilgabe«, ergänzte Jendrai und ließ seinen Blick über einen Schrank mit Schriftrollen wandern. »Da.« Er zog eine heraus, blies den Staub ab (was Trusty zum Niesen brachte) und breitete sie auf dem Tisch aus. »Sie ist auf Hochgallanisch verfasst – könnt Ihr diese Sprache lesen?« Alanna und Coram schüttelten die Köpfe. »Hier ist die Stelle, auf die es mir ankommt. Grob übersetzt
steht da: ›Besagtes Juwel übt seine Macht auf zwei Weisen aus. In den Händen derer, die keine Zaubergabe besitzen, wirkt es auf eine natürliche Art wohltätig, indem es – soweit es in der Macht des jeweiligen Herrschers liegt – seine Kraft mit der vereint, die die Erde selbst innehat.‹« Jendrai brach ab, um zu erklären: »Das Juwel funktioniert nur für diejenigen, die von Natur aus zum Herrscher oder Eroberer bestimmt sind. Was auch erklärt, warum das Juwel in der Hand eines einfachen Mannes häufig besser genutzt wurde als in der eines Mannes von königlichem Geblüt. Wenn jemand von hoher Geburt ist, heißt das noch lange nicht, dass er die notwendige Willenskraft hat.
Wo war ich? – ›In der Hand dessen, der die Gabe hat, der die Kunst des Zauberns versteht, kann das Juwel direkter verwendet werden: zum Heilen und zum Krieg, für Fruchtbarkeit oder Tod. Ein kenntnisreicher Herrscher, dem es gegeben ist, eigene Zauberformeln zu schaffen, kann neues Land aus den Tiefen des Ozeans entstehen lassen und einem toten Kind neuen Atem einblasen. In der Hand eines Herrschers, der Weisheit und Willenskraft in sich vereint, macht das Juwel alles möglich.‹«
»Das macht mir Angst«, flüsterte Alanna. »Was hätte wohl Roger mit dem Juwel der Macht angestellt?«
»Den Göttern sei gedankt, dass wir das nie erfahren werden«, antwortete Coram.
Die Luft draußen war frisch und erinnerte daran, dass der Winter noch nicht vorüber war. Alanna zitterte und machte schnelle Schritte, um nicht hinter Coram zurückzubleiben. Trusty trottete voraus und schnupperte in den Nachtwind. Alanna dachte sehnsüchtig an die Bazhir – für sie bedeutete
Winter kühler Regen, nicht Schnee und Eis. Sie zog den Wüstenwinter vor, denn irgendwie machte ihr kaltes Wetter auf eine unerklärliche Weise Angst.
Sie waren nicht mehr weit von der Herberge entfernt, als Coram sagte: »Was hast du vor?« Als er begriff, dass Alanna mit ihren Gedanken ganz woanders war, erklärte er: »Mit dem Juwel, meine ich.«
»Ich glaube, wir sollten es suchen.«
»Wo ich ja weiß, wie sehr du die Kälte magst, hätt ich nicht gedacht, dass dir das Dach der Welt sonderlich zusagt.«
Alanna verzog das Gesicht. »Tut es auch nicht. Aber wenn dort das Juwel ist ...«
Wir werden verfolgt, bemerkte Trusty.
Coram blickte sich um. »Diebe.« Seine Stimme war nur so laut, dass ihn Alanna gerade noch hören konnte. »Bestimmt sind sie hinter unseren Geldbörsen her.«
Alanna warf einen Blick nach vorn zu der Straßenecke, wo ihnen ein Trupp dunkel gekleideter Männer den Weg versperrte. Sie zog ihr Schwert Blitz, das schwach schimmerte. »Wieso sind da so viele, wo wir doch nur zu zweit sind?«
»Rechts von dir sind noch mal welche«, zischte Coram. »Vielleicht, weil sie sonst nichts zu tun haben?« Damit zückte er sein Breitschwert.
Zwei der Gauner trugen ebenfalls Schwerter, zwei andere kurze Äxte, drei waren mit eisenbeschlagenen Knüppeln ausgerüstet. Alanna vermutete, dass die übrigen Messer hatten.
»Lasst uns vorbei«, befahl sie. »Die Mühe, die es euch kostet, uns unser Geld abzunehmen, solltet ihr euch sparen.«
Sie machte das Zeichen, das freies Geleit unter den Schurken sicherte. Georg hatte es ihr beigebracht.
Einer trat mit gezücktem Schwert nach vorn. »Bist du Alanna von Trebond aus Tortall? Die, die behauptet, Ritterin zu sein?«
Coram wurde zornig. »Wenn du noch einen Schritt näher kommst, wirst du erfahren, dass sie wirklich und wahrhaftig eine ist!«
»Mit dir haben wir nichts zu schaffen, Meister«, bellte da ein anderer. »Verdrück dich auf der Stelle, sonst passiert was!«
»Ich verdrück mich, wenn ihr es tut – oder wenn ihr ins Gras gebissen habt. Mir ist es so
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