Alanna - Das Lied der Loewin
Händen!« Sie wollte aufstehen,
doch Liam hielt sie zurück. »Alanna, warte! Ich wollte nicht – ich verliere leicht die Beherrschung.«
»Ich auch«, gab sie zurück, aber sie ließ zu, dass er sie wieder neben sich zog.
»Es stimmt, der Shang-Orden gestattet, dass sich Heiler um uns kümmern. Schüler, die eine Zaubergabe besitzen, gibt es dagegen nicht. Was aber nicht so sehr daran liegt, dass die Meister denken, man könne die Gabe als Krücke benutzen. Eher, weil sie wissen, dass die Aufmerksamkeit der Schüler für andere Dinge nachlässt, sobald sie in der Zauberei unterwiesen werden. Wenn man sich Shang unterwirft, dann mit Leib und Seele – wenn man Erfolg haben will.« Er strich Alanna übers Haar. »Mach kein so böses Gesicht, Kätzchen. Mir zittern ja die Knie.«
»Ich bin, was ich bin«, erklärte sie ihm schon etwas ruhiger. »Ich habe nie darum gebeten, zur Hälfte Kriegerin und zur Hälfte Zauberin zu sein.«
»Ich weiß.« Liam seufzte. »Hör zu. Ich hab mich deswegen so aufgeregt, weil ich ... weil ich Angst habe vor Magie.«
Machte er Witze? Sie war nicht in der Stimmung dafür. »Du hast doch vor überhaupt nichts Angst.«
»Jeder hat vor irgendwas Angst.« Da war etwas Wahres dran, und Alanna wusste es. »Ich habe Angst, ich könnte für etwas völlig Sinnloses sterben«, fuhr Liam fort. »Ich habe Angst davor, krank zu werden – mein Großvater wurde verwundet und verfaulte buchstäblich, bis er schließlich starb.« Sie strich ihm mitfühlend über den Arm, unterbrach ihn aber nicht. »Und ich hasse es, hilflos zu sein. Wozu bin ich denn der Drache?«
»Oder ich die Löwin«, flüsterte sie.
Er nickte. »Wozu sind wir sonst hier?« Alanna grinste.
»Außerdem«, redete Liam weiter, »habe ich, wie gesagt, Angst vor der Zauberei – weshalb ich auch nicht erlaube, dass Heiler mich mit Magie behandeln. Dadurch erleide ich schlimmere Schmerzen und liege auch länger im Bett. Aber solange ich noch bei Bewusstsein bin, zaubert keiner an mir herum, sonst schlage ich alles kurz und klein. Manche Leute haben Angst vor Spinnen – ich habe Angst vor Magie.«
Alanna schauderte. Spinnen hasste sie wie die Pest. »Ich habe noch nie von jemandem gehört, der Angst hat vor der Gabe – jedenfalls nicht so. Dass jemand sie nicht mag, kommt allerdings vor.«
»Tja, ich habe Angst.«
Sie spielte mit dem Stein an ihrem Hals. »Liam?«
»Ja?«
»Wie ...« Sie spürte, dass sie rot wurde, und war dankbar für die Dunkelheit. »Wie kann aus uns ein – na ja, irgendwas werden, wenn du Angst hast vor meiner Gabe?«
Er umarmte sie und zog sie eng an sich. »Ich möchte es trotzdem versuchen. Wie steht es mit dir?«
»Ich kenne dich überhaupt nicht«, flüsterte sie. Es klang fast wie eine Klage. »Und du mich auch nicht.«
Er lächelte. »Das ist es ja, was Spaß macht, Kätzchen.« Er küsste sie zärtlich, dann leidenschaftlich und Alanna gab nach.
Alle Zweifel, die sie noch hatte, schob sie weg, um sie zu einem anderen, weniger aufregenden Zeitpunkt wieder zu betrachten.
Liam schüttelte sie sanft. Von der anderen Seite ihres mit Asche abgedeckten Lagerfeuers hörte sie Coram schnarchen. »Lass uns gehen«, flüsterte er.
»Wohin?«, gähnte sie.
»Du wirst den Shang-Kampf nicht im Bett lernen.«
Sie wollte protestieren, überlegte es sich aber anders. Selbst zu dieser frühen Stunde wollte sie, dass er eine gute Meinung von ihr hatte. Also kümmerte sie sich nicht darum, dass sich ihre Arme dreimal so schwer anfühlten wie gewöhnlich – vermutlich ging es ihm noch schlimmer, und er ging trotzdem seiner morgendlichen Routine nach. Es war ja meine Idee, gab sie sich einen Ruck. Damit zumindest Coram weiterschlafen durfte, unterdrückte sie ein Stöhnen und gehorchte.
Die Festung Jirokan war eine wehrhafte Stadt mit einem großen Zeltlager vor den Mauern. Coram deutete zum Fluss, wo ein mit Menschen beladener Lastkahn flussabwärts fuhr. »Sie fliehen vor dem Krieg in Sarain«, erklärte er Alanna, während sie zu den Stadttoren ritten. »Vermutlich wurden ihre Höfe niedergebrannt oder geplündert. Jetzt hoffen sie, dass ihnen Maren ein kleines Stück Land zuteilt, wo sie noch mal von vorn anfangen können.«
»Die Schiffe bringen sie nach Süden. Der König ist zu klug, um all diese entwurzelten Menschen an einem Platz zu lassen«, sagte der Drache und nickte zur Zeltstadt hinüber. Jetzt, wo sie näher kamen, sah Alanna im Schlamm aufgestapelte Möbel, dazu
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