Alanna - Das Lied der Loewin
nickte und ging leise weg.
»Prägt euch ihre Gesichter genau ein«, befahl Kralle gerade den Mördern, als Jon wieder in sein Guckloch sah. »Damit ihr wisst, wen ihr umbringen müsst, falls wir verraten werden.« Die Mörder schauten sich bedächtig jeden Einzelnen des Personals an, bis diese es offensichtlich mit der Angst zu tun bekamen. Plötzlich lehnte sich Kralle über den Tisch und fuhr mit dem Finger darüber. Einen Augenblick lang starrte er seine Fingerspitze an, dann drehte er sich zu dem Dienstmädchen um.
»Du sagtest, dieses Zimmer wird nie benutzt – und trotzdem ist kein Staub auf dem Tisch.«
Das Mädchen nahm seinen ganzen Mut zusammen und antwortete: »Ich hab vorher abgestaubt. Mir war nicht danach, den Dreck von zehn Jahren einzuatmen ...«
Kralle schlug ihr mit dem Handrücken ins Gesicht. »Dämliches Ding!« Er lief geradewegs zum anderen Ende des Raums, bis kurz vor das Guckloch des Obersten Richters. Dort fuhr er über die fein gearbeitete Zierleiste des Wandschirms, hinter dem sich die Mauer mit den Öffnungen verbarg. Als er den Finger wegnahm, war er sauber.
»Hier hinten hast du wohl auch abgestaubt?«, schrie er das Mädchen an, rannte zur Tür, riss sie auf und zog dabei sein Schwert.
Darauf waren die Männer des Obersten Richters weder gefasst noch vorbereitet und einen schlug Kralle gleich nieder. Nun kamen auch die beiden Mörder aus dem Zimmer gestürzt. Der Oberste Richter rannte los; Jonathan und Roger wichen von ihren Gucklöchern zurück. »Sag mir bloß nicht, dass du davon nichts wusstest – Vetter«, rief Jon
aufgebracht. »Das ist wieder eine deiner Verschwörungen, um den Thron an dich zu reißen, davon bin ich überzeugt. Ob du meine Mutter noch ein letztes Mal behext hast oder nicht, spielt keine Rolle. Die Lebenskraft hattest du ihr schon durch deine früheren Machenschaften geraubt. Das hier ist nur ein weiteres deiner Komplotte, oder willst du mich vom Gegenteil überzeugen? Du bist immer noch genauso scharf auf meinen Thron wie früher. Hab ich recht?«
Roger packte Jon am Arm. »Ich wusste nichts von einem Komplott, das schwöre ich dir bei all deinen Göttern«, sagte er wütend. »Wenn diejenigen, die diese Sache hier planten, behaupten, ich hätte etwas damit zu tun, dann werde ich sie aufspüren und sie – eines Besseren belehren. Ich schwöre im Namen der Göttin und des Dunkelgottes, dass ich deinen Thron nicht haben will. Bist du nun zufrieden?«
Er hatte zwei Götter angerufen, die dafür bekannt waren, wie streng sie diejenigen bestraften, die ihren Eid brachen. Widerstrebend nickte Jon. »Du sagtest ›deine Götter‹. Glaubst du nicht an sie?«
Roger lächelte bitter. »Ich glaube an sie – nur ein Dummkopf tut das nicht. Da sie mir allerdings ganz klar gezeigt haben, dass sie mich nicht mögen, weigere ich mich sie anzubeten.« Er starrte mit blitzenden Augen in die Ferne. »Aber sie können besiegt werden, Jonathan. Der richtige Mann kann ihre Throne zum Wanken bringen.«
Wenige Minuten später kam der Richter, der vom Kampf etwas mitgenommen war, zu Jonathan zurück, der inzwischen allein auf dem Korridor stand. »Außer Kralle haben wir sie alle«, sagte er erschöpft. »Und zwei von meinen Männern sind tot. Die anderen werden sich das möglicherweise
auch wünschen, sobald ich sie mir vorgeknöpft habe, weil sie diesen Mistkerl laufen ließen.«
»Er ist aalglatt«, sagte Jonathan, der mit seinen Gedanken ganz woanders war. »Aber ich bin fest davon überzeugt, dass Ihr noch einmal Gelegenheit haben werdet, ihn zu schnappen.«
Eleni Cooper erwachte mit einem unguten Gefühl. In ihrem eigenen Haus bedeutete das, dass irgendjemand sie als Heilerin brauchte. Sie sagte sich, hier im Haus Olau könne es auch nicht anders sein, zog etwas über und lief nach unten. Gerade hielt eine verschlafene Dienstmagd eine Lampe hoch, während Bazhir-Wächter drei Leute zur Tür hereingeleiteten. Als eine der Wachen anderen draußen Befehle gab, sah Eleni das Funkeln von Schwertern, bevor die Tür geschlossen und verriegelt wurde.
»Frau Cooper!«, rief die verschlafene Dienstmagd erleichtert. »Diese Leute da sagen, sie seien Freunde von Meister Georg ...«
»Marek Flinkmesser, kannst du nicht dafür sorgen, dass du einmal unversehrt bei mir ankommst?«, rief Eleni, als sie die drei erkannte. Eilig kümmerte sie sich um Rispah, die blass war und blutete, redete aber weiterhin auf Marek ein. »Es ist erst sechs Monate her, seit ich dich
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