Alanna - Das Lied der Loewin
den Ställen. »Waren die letzten beiden überhaupt aus Tortall?«, fragte Alanna atemlos, während sie sich das Gesicht abwischte. »Nein.« Gary sah zufrieden aus. »Der eine war aus Galla und der Dunkelhäutige aus Carthak. Sie sind zur Krönung gekommen.«
»Ziemlich früh, findest du nicht?«
»Alle wollen wissen, wie Jonathan ist. Vor allem interessiert es sie, ob er lange König bleiben wird. Deshalb ist es gut, dass du wieder da bist. Die meisten von uns jungen Rittern sind außerhalb Tortalls nicht bekannt. Aber die Löwin ist berühmt und überall geachtet. Ein König, dem du die Treue schwörst, verdient Aufmerksamkeit.« Sie waren an den Stalltüren angekommen.
Alanna murmelte: »So ein Unsinn.«
»Für dich ist es Unsinn«, sagte Gary. »Für die Fremden ist es wichtig. Sie werden es nicht wagen, sich in die Angelegenheiten unseres Landes zu mischen, bis sie mehr über Jon erfahren haben.« Er salutierte grinsend und ließ sie stehen, um zum Palast und seinen neuen Aufgaben zurückzugehen.
Die Ställe waren verlassen, als Alanna sie betrat. Die meisten Pferdeknechte waren draußen auf den Höfen oder auf den Koppeln, was ihr gelegen kam. Sie legte die Finger an die Lippen und stieß einen ohrenbetäubenden Pfiff aus. Ein großer Mann kam vom Heuboden heruntergerutscht, ohne sich die Mühe zu machen, das trockene Gras aus seinem Haar zu klauben.
»Da seid Ihr also«, meinte Stefan, verbeugte sich und erwies ihr seinen Respekt. »Tut mir in der Seele gut, Euch zu sehn. Vielleicht geht’s dann auch unserer Majestät wieder besser, ’ne trübselige Zeit war das, Lady Alanna.«
Die Ritterin lehnte sich an einen Pfosten. »Warum erzählst du mir nicht, weshalb die Dinge so trübselig waren?«
Stefan sah sich argwöhnisch um. »Kommt mit rauf«, lud er sie ein und bestieg eine Leiter, die auf den Heuboden führte. »Und redet nicht so laut.«
Bei ihrer Rückkehr wimmelte es von Näherinnen im Hause Olau. »Es war Elenis Einfall«, erklärte Buri. »Sie sagt, du und Thayet, ihr würdet etwas zum Anziehen brauchen. Viel Spaß!« Als Trusty die Unmengen von Stoffen und ernst dreinblickenden Frauen sah, floh er zusammen mit Buri. Die Männer waren schon verschwunden.
»Ich weiß, du hättest heute lieber andere Dinge unternommen«, sagte Eleni, während sie Alanna in den Anproberaum zog. »Aber seine Majestät will, dass du Thayet heute Abend an den Hof bringst. Da, das hat er für dich dagelassen.« Damit überreichte sie ihr ein versiegeltes Pergament. Während ihr Georgs Mutter Schwertgürtel, Waffenrock und Stiefel auszog, brach Alanna das Siegel und las Jonathans Nachricht.
Ritterin, heute Abend wäre ein guter Zeitpunkt, dich offiziell am Hofe zu präsentieren und auch Prinzessin Thayet vorzustellen. Je länger die konservativen Seelen Zeit haben, sich an dich zu gewöhnen, desto hilfreicher wird deine Anwesenheit sein. Bei den vielen Zeugen, die da sein werden, ist es zudem eine ausgezeichnete Gelegenheit, mir den Gegenstand zu überreichen, von dem wir sprachen.
Sie war einverstanden mit Jonathans Strategie und nickte, bevor sie den Brief ins Feuer warf. Eine offizielle Vorstellung,
bei der Diplomaten aus dem Ausland und Tortaller Edle gleichermaßen anwesend sein würden, war ein großartiger Anlass. Thayet stand auf Grund ihres Ranges ein derartiger Empfang zu. Und ihr eigenes Leben, das war Alanna klar, würde einfacher sein, wenn ihr Jonathan öffentlich seine Anerkennung zeigte, auch wenn sie eine inoffizielle Begrüßung vorgezogen hätte. Außerdem, sagte sie sich, werden die Leute somit bis zur Krönung fast sechzig Tage lang Zeit haben über das Juwel der Macht nachzudenken. Inzwischen wird es sich herumsprechen. Keiner wird es eilig haben, einen König zu stürzen, der es besitzt.
Mit einem Seufzer zog sie Hemd und Hose aus, als eine Nähgehilfin kam, um mit einer mit Knoten versehenen Schnur Maß an ihr zu nehmen. Verbissen sah sie zur Decke, während sich die Schnur um ihren Leib schlängelte. Neue Gewänder waren notwendig – alles, was sie heute nicht erledigen konnte, musste eben warten.
Dann wäre beinahe alles vorbei gewesen, noch bevor es begann: Die Vorgesetzte der Näherinnen zeigte ihr nämlich Entwürfe von Kleidern. »Ich werde kein Kleid tragen. Nicht heute Abend«, sagte die Ritterin entschieden. »Dann werden sie denken, ich komme mit eingezogenem Schwanz zu ihnen zurück!«
»Ihr könnt Euch doch nicht dem gesamten Hof und seiner zukünftigen
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