Alanna - Das Lied der Loewin
was der Richter wohl getan haben mochte, um diesen Tonfall zu rechtfertigen.
Georg seufzte und rollte das Pergament zusammen. »Wo es so viele gute Gründe gibt zu akzeptieren, müsste ich ja dumm sein, Nein zu sagen.« Mit einem schiefen Grinsen sagte er zu Alanna: »Er ist verdammt erwachsen geworden. Ich frage mich, ob wir darüber glücklich oder traurig sein sollen!«
Während die Sonne hinter den Küstenhügeln unterging, ritt Alanna zum Palast, um Thom ihren täglichen Besuch abzustatten. Als sie ihn verließ, war sie bekümmert und unruhig wie immer. Er sah nicht besser aus als zur Zeit ihrer Rückkehr, eher schlechter, und sie hatte Angst. Auch war ihr aufgefallen,
dass Trusty Abstand hielt von Thom. Und Thom seinerseits ging dem Kater bewusst aus dem Weg. Für sie war das der beste Beweis, dass etwas ganz und gar nicht stimmte, aber als sie Trusty fragte, weigerte er sich, ihr eine Antwort zu geben.
Anstatt nach Hause zu reiten oder ihre Freunde aufzusuchen, wanderte sie mit Trusty zusammen durch das Gewirr der Palastgänge. Die Männer und Frauen vom Personal, die an ihnen vorbeikamen, sahen sie erschrocken an und grüßten schnell, aber Alanna war mit ihren Gedanken weit weg. Sie dachte an die Krönung. Es war kaum zu glauben, aber es waren nur noch drei Wochen. Ihr Spaziergang führte sie schließlich zum Saal der Kronen, der nur einem einzigen Zweck diente: Dort wurden die Tortaller Herrscher dem Throne geweiht. Zu allen anderen Zeiten blieb er geschlossen, und seine Fenster waren mit schweren, samtenen Tüchern verhängt.
Es roch nach Bienenwachs, Gewürzen und Weihrauch, als sie hineingingen. Das Personal hatte schwer gearbeitet, hatte die verstauben Wandbehänge gereinigt, Holz und Metall poliert, bis sie glänzten, die aus vielen kleinen Scheiben bestehenden Fenster geputzt. Winzige Votivkerzen funkelten auf dem Altar, wo ein Mithran-Priester und eine Tochter der Göttin Jonathan mit Zauberkraft an Krone und Land binden würden.
Alannas Schritte hallten bis zur Decke, während sie umherging. Da waren die hölzernen Bänke der Edlen. Sie kletterte die steinernen Stufen empor, auf denen die wichtigsten Händler, die Zunftmeister und ihre Familien sitzen würden. Ganz oben befanden sich die Türen zur Stadt, so hoch wie fünf Männer, so breit wie sieben. Die würden während
der Krönung offen stehen. Alle, die hinter den reichen und mächtigen Bürgerlichen noch hineinpassten, würden sich dort drängen und den weniger Glücklichen mitteilen, was drinnen vor sich ging.
Nach der Krönung war vorgesehen, dass Jonathan sein Pferd Darkness bestieg und durch die Straßen seiner Hauptstadt ritt, in denen sich die Menschen drängten, begleitet von Alanna, die sich einen Schritt hinter ihm halten würde.
Der Göttin sei gedankt, dass Moonlight kein scheuer Jährling ist, den man in der Menge nur schwer kontrollieren kann, überlegte sie. Trotzdem gibt es Dinge, die ich an jenem Tag lieber tun würde als ausgerechnet das.
Sie setzte sich auf eine Treppenstufe und erdrückte dabei fast Trusty. »Ach, hör auf«, brummte sie, als er einen Schrei ausstieß. »Dir ist doch gar nichts passiert.« Sie stützte die Ellbogen auf die Knie, legte das Kinn in die Hände und sah zum weit entfernt liegenden Altar. »Ich werde alt«, flüsterte sie. »Eigentlich müsste ich aufgeregt sein wegen der Krönung. Wenn ich doch nur sicher wüsste, dass ihm nichts passieren wird!«
Du wolltest eine Heldin sein, sagte Trusty . Heldinnen haben Verpflichtungen.
»Ich bin nicht sicher, ob ich es immer noch will«, seufzte Alanna.
Dann sitzt du in der Klemme. Das ist das Einzige, was du nie wirst ändern können.
»Ich weiß. Aber ich denke ans Heiraten – wenn ich dabei trotzdem die Welt sehen könnte. Es wäre gar nicht so übel – nicht, wenn es einer wäre, den ich mag und liebe. Einer, mit dem ich lachen kann.«
Du willst Kriegerin sein und Frau. Du willst reisen und Jonathan dienen. Kannst du dich denn nicht entscheiden?, meinte der Kater.
»Wer sagt denn, dass ich nicht von allem ein bisschen haben kann?«, fragte sie. Als ihr klar wurde, was sie gesagt hatte, begann sie zu strahlen. »Stimmt – warum eigentlich nicht? Bisher hab ich es ganz gut geschafft, glaube ich!«
Vermutlich, gab er widerwillig zu. Für einen Menschen. Aber sei vorsichtig, wenn du deine Wahl triffst – vor allem, falls du tatsächlich heiraten willst. Du brauchst einen, der nicht so edel gesinnt ist wie du. Andernfalls nimmst
Weitere Kostenlose Bücher