Alanna - Das Lied der Loewin
frech.
Ein Serviermädchen streckte den Kopf herein. »Verzeiht mir, Gnädigste, aber der König lässt fragen, ob Ihr nach unten kommen könnt, falls Ihr schon wach seid. Er ist in der Bibliothek.« Alanna zupfte an ihrem neuen Kleid und genoss das Rascheln der lilafarbenen Seide, während sie mit einer Bürste durch ihr Haar fuhr. Beim Hinuntergehen zog sie Schuhe an und brach sich fast den Hals, als sie erst mit einem Fuß, dann mit dem anderen auf den Stufen hüpfte. Sie wusste zwar, dass Jon ziemlich früh aufstand, es kam aber nur selten vor, dass er zu dieser Stunde schon den Palast verließ. Er musste also in wichtigen Geschäften gekommen sein.
»Hallo«, begrüßte er sie, als sie in die Bibliothek eilte. »Ein schönes Kleid. Trägst du es für jemand Besonderen?«
»Ja«, fauchte sie. »Für mich.«
»Vielen herzlichen Dank. Du bist mal wieder ausgesprochen liebenswürdig heute. Du müsstest netter sein zu deinem König, mein Kämpe.«
»Nein, müsste ich nicht«, gab Alanna zurück. »Herzog Gareth sagt, der Kämpe müsse immer ehrlich sein, selbst wenn anderen der Mut dazu fehlt.«
Jon lächelte traurig. »Ich muss zugeben, dass es dir noch nie an Mut gefehlt hat, deine Meinung deutlich zu äußern.«
Sie musterte ihn besorgt. »Pass du auch gut auf dich auf – isst du ordentlich, kriegst du genug Schlaf? Es geht nicht, dass du zu deiner eigenen Krönung krank wirst.«
»Mit mir ist alles in Ordnung. Ich bin letzte Woche spät ins Bett gekommen, weil ich mit dem Juwel arbeite.«
»Wie läuft es?«
Jonathan lächelte. »Sehr gut. Thom ist eine große Hilfe, er findet mir Zaubersprüche oder schreibt mir neue dafür. Wenn man weiß, wie man mit diesem Stein umgehen muss, ist seine Macht unbegrenzt.« Er seufzte. »Das ist auch eine Versuchung, gegen die ich immer werde ankämpfen müssen. Sobald ich mich allein auf das Juwel verlasse, um mein Land zu regieren, beschwöre ich Unheil herauf. Für menschliche Anteilnahme gibt es keinen Ersatz.«
»Denkst du dauernd an solche Dinge?«, wollte sie wissen. »Oder ruhst du dich auch manchmal aus und machst dir mal Gedanken über ganz normale Dinge, so wie wir anderen?« Sie konnte ihm nicht sagen, wie sehr er ihr ehrfürchtige Scheu einflößte, wenn er so redete. Wenn jemals einer zum König geboren wurde, dann Jon, dachte sie.
»Natürlich«, antwortete er scharf. »Es gibt viele normale Dinge, über die ich nachdenken muss – die Zukunft, die Liebe und ...« Er brach ab.
»Wie steht es zwischen dir und Thayet?«, erkundigte sich Alanna interessiert.
Jonathan rieb sich das Gesicht mit den Händen. »Es ist irgendwie verwirrend.« Er seufzte. »Ich weiß nicht, ob sie aus Höflichkeit mit mir ausreitet oder weil sie gern bei mir ist...«
»Gut«, sagte sein Kämpe. »Du bist sowieso zu selbstsicher, was Frauen betrifft. Es wird dir nicht schaden, wenn du dich ein bisschen anstrengen musst.«
Jon hob Trusty hoch und strich sein Fell glatt. »Danke, liebste Alanna. Ich wusste, dass ich auf dich zählen kann, damit du meinen verletzten Stolz wieder aufrichtest.«
»Auf deinen Stolz hast du bisher immer selbst achtgegeben«,
erklärte sie. »Dafür hast du mich noch nie gebraucht. Übrigens – was willst du eigentlich von mir heute früh? Oder bist du nur gekommen, um dich mit mir zu unterhalten?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich bin hier, weil ich mit Georg etwas bereden muss – er ist noch nicht gekommen. Ich dachte, deine Anwesenheit könnte beruhigend wirken.«
»Du bist doch nicht böse auf ihn, oder?«, fragte sie besorgt.
»Ganz im Gegenteil.«
Schmutzig und schweißüberströmt kam der, über den sie gerade sprachen, hereingeschlendert. »Tut mir leid, dass ich zu spät bin«, sagte er zu Jonathan und ließ sich in einen ausladenden Sessel fallen. »Ich hatte ein kleines Handgemenge mit ein paar Hitzköpfen. Nichts Ernstes, aber es hat mich aufgehalten.« Alanna schenkte Georg etwas von dem Obstsaft, den das Personal gerade auf Myles’ Schreibtisch gestellt hatte, in einen Becher ein. Er nahm ihn, murmelte einen Dank und trank ihn leer. Sie schenkte noch einmal nach und hielt dabei verstohlen Ausschau nach irgendwelchen Verletzungen.
Er merkte es trotzdem. »Ich bin noch ganz, Kleine«, sagte er lächelnd. »Sag bloß nicht, dass du dir Sorgen gemacht hast.«
Alanna, die sich über seinen spöttischen Tonfall ärgerte, machte ein wütendes Gesicht. »Hab ich nicht«, gab sie zurück.
Georg zwinkerte ihr zu. »So ist es
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