Alanna - Das Lied der Loewin
Glutstein griff, sah sie nur noch eine Spur seiner Gabe. Sie floss von ihm fort, so wie gerade eben die ihre. Fest entschlossen, ihre Magie zu benutzen, um ihn zu retten, egal, was dann passierte, fühlte sie hinter die Schranke, mit der sie ihre Zauberkraft versehen hatte.
Thom riss die Augen auf und packte mit dem letzten Rest der Energie, die ihm noch verblieben war, ihre Hände. »Tu es nicht! Ich ... ich bin mit ihm verbunden. Er wird dich durch mich leer saugen ...«
»Roger?«, flüsterte sie.
Thom nickte. Als ihr Blick auf den Kater fiel, befahl sie: »Trusty, geh und hol ...«
»Keine Zeit!«, sagte Thom scharf, ohne seinen schmerzhaften Griff zu lockern. »Hör zu! Seine Gabe – sie ist verbunden mit mir, dem Zauberer, der ihn von den Toten zurückholte.«
Sie legte das Ohr an seine Lippen, um ihn besser zu verstehen. »Sie wurde ... stärker, während er selbst stärker wurde. Aber niemals so stark wie meine«, fügte er hinzu.
Alanna wischte die Tränen fort und schalt: »Ist doch egal, ob deine Gabe größer ist als seine!«
»Er kann ... immer nur eine anzapfen. Du ... du bist mit mir verbunden. Du hast einen Teil ... von meiner Gabe ... und auch von seiner. Er braucht aber ... mehr, um zu beenden ... was er begann. Sorg dafür, dass er es nicht kriegt! Benutz ... deine Gabe nicht. Sein Zauber wirkt wie ein Blutegel ...« Thom hatte Mühe beim Atmen. »Er wird ... alles nehmen. Er lässt nichts mehr ... übrig.« Als Thom zu lachen versuchte, klang es wie ein heiseres Bellen. »Er hat nicht ... meine ganze ... gekriegt. Du hast ja einen Teil davon ...« Jetzt sank er zurück und zog Alanna mit sich. Seine Stimme war kaum zu hören, seine Hände waren kalt. »Ich liebe dich. Schon immer. Für immer.«
»Nein!«, rief sie, aber er hörte nicht mehr.
»Ich werde ... nie erfahren, wie er es gemacht hat ...«
Thom war tot.
Bei der Treppe, die zum Erdgeschoss führte, traf Georg auf Coram. »Ich sah sie wegrennen und dich hinterher«, stieß Alannas ältester Freund hervor. Er versuchte zu verschnaufen. »Ich dachte mir, dass ihr Hilfe braucht.«
Georg zeigte ihm das Juwel. »Sie hat vergessen, dass sie das noch hatte – ich soll es Jon bringen.«
»Wo ist sie?«
»Bei Thom.«
Coram zögerte. »Dann geh ich besser zu ihr. Höchstens ...«
»Ich werd auf das Juwel aufpassen«, versicherte Georg. »Es ist nicht so weit bis zum Saal.«
»Weit genug.« Kralle und fünf seiner Männer tauchten aus dem Korridor auf, der hinter Georg lag. »Meine Freunde sagten mir, dass du hier entlangkommen würdest«, rief Kralle und wedelte mit der Hand. »Gib mir das Ding her, bevor es von deinem Blut besudelt wird.« Mit einem Blick auf Coram fügte er hinzu: »Du hast mit der Sache nichts zu schaffen. Verschwinde.«
Coram wog mit verbissener Miene sein Breitschwert in der Hand und sagte dann zu Georg: »Wenn ich dich jetzt im Stich ließe, würd sie mir das nie vergeben.«
Georg steckte das Juwel in den Beutel an seinem Gürtel und zog zwei Dolche hervor. »Rispah oder die Ritterin?«, grinste er. Inzwischen schwärmten Kralles Männer aus, bauten sich mit dem Rücken zur Treppe auf und bildeten einen Halbkreis um Georg und Coram.
»Beide«, entgegnete Coram. Dann schrie er: »Für die Löwin!«, und stürzte sich auf einen der Kerle.
Im Saal der Kronen herrschte ein unbeschreibliches Chaos. Weitere Krieger rissen sich ihre Umhänge vom Leib, unter denen Livreen in Violett und Schwarz oder Grün und Weiß zum Vorschein kamen. Alle waren sie schwer bewaffnet und alle hatten sie spezielle Ziele: die Männer der Königlichen Leibgarde, die Edlen, die sich zur Wehr setzten, Jonathan
und seine Bewacher. Sie hatten es dabei nur mit Zier-Schwertern zu tun; dazu mit unbewaffneten Bürgerlichen, die alles benutzten, was als Waffe dienen konnte, und sogar mit einigen Frauen und Kindern. Die anderen versuchten zu fliehen, was das allgemeine Durcheinander noch größer machte.
Buri sah, wie eine Gruppe von Edelfrauen, darunter auch die energische Herzogin von Naxen, in ihrer Umgebung für Disziplin sorgte. Weitere Krieger kamen durch die von Wandbehängen verborgenen Türen hinter dem Altar geströmt und überraschten die Männer, die Jonathan umgaben. Raoul brüllte einen Befehl und stürzte mit den Wachen des äußeren Rings den neuen Angreifern entgegen. Buri konnte weder Liam noch Coram, noch Alanna entdecken. Neben ihr näherte sich Rispah mit einem großen, im Handteller
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