Alanna - Das Lied der Loewin
gerade.«
Alanna atmete tief durch. »Ich werde das, was ich angefangen habe, zu Ende bringen«, erklärte sie mit ruhiger Stimme.
Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Alanna, Kind, du wirst nur glücklich werden, wenn du dich so akzeptierst, wie du bist.«
Darauf wusste sie keine Antwort, doch er erwartete auch keine. »Ich besorge dir noch mehr Bandagen, wenn ich heut in die Stadt runtergeh«, sagte er. »Und jetzt machst du dich besser auf den Weg. Sonst kommst du zu spät.«
Es war nicht leicht, mit einer Bandage um die Brust herum zu leben. Erstens einmal taten ihr die wachsenden Brüste weh, obwohl sie glücklicherweise ziemlich klein blieben. Alanna war jetzt doppelt so vorsichtig, wie weit sie ihr Hemd öffnete, und ausgerechnet in diesem Sommer versuchten die Jungs mit allen Mitteln, sie dazu zu kriegen, es ganz auszuziehen. Die beste Zeit dafür war, wenn sie schwimmen gingen. Den ganzen Sommer über weigerte sich Alanna ins Wasser zu gehen, egal, wie sehr sie sie zu überreden versuchten. So weit, dass einer der Jungs versuchte, sie zu zwingen, ging es allerdings nie – keiner von ihnen hatte Ralon von Malven vergessen.
Eines Tages Anfang August versuchte Raoul sein Glück. »Na, komm schon, Alan«, zog er sie auf. »Nur einen kleinen Platscher. Oder hast du Angst, du wäschst dir vielleicht etwas von der Dreckschicht ab, die dich schützt?«
Alanna hatte genug. Mit hochrotem Gesicht sprang sie auf. »Ich hasse es zu schwimmen!«, schrie sie. »Und mir ist auch nicht zu heiß – also lass mich in Ruhe!«
Irgendjemand kicherte. Raoul war ein gutes Stück größer als der Page, der da mit wütendem Blick vor ihm stand.
»Alan, er wollte dich doch nur ein bisschen aufziehen!«, rief Alex.
»Ich habe es satt, mich aufziehen zu lassen!«, gab sie unwirsch zurück. »Den ganzen Sommer lang musste ich mir das gefallen lassen. Warum kann ich nicht tun und lassen, was ich will, ohne laufend von irgendeinem belästigt zu werden?«
Raoul zuckte die Achseln. Ganz im Gegensatz zu Alanna war er durch fast nichts aus der Ruhe zu bringen. »Na ja, wenn du so empfindlich bist, dann werde ich dich nicht mehr belästigen.«
»Gut!« Mit funkelnden Augen sah sie die anderen an. »Und solange ich nicht stinke, will ich nie mehr etwas davon hören!«
Alle schwiegen betroffen. Schließlich sagte Jonathan: »Komm wieder ins Wasser, Raoul. Mit Alan sollte man nicht streiten – der ist total durchgeknallt.«
Leicht zitternd kehrte Alanna zu ihrem schattigen Baum zurück. Sie war etwas beschämt und sie wünschte sich – und zwar nicht zum ersten Mal –, sie könnte ihr Temperament besser zügeln.
Die anderen ließen sie für den Rest des Nachmittags in Ruhe. Beim Heimreiten trabte Alanna nach vorn, um Raoul einzuholen. »Raoul?«, sagte sie leise. »Kann ich dich einen Augenblick sprechen?«
Sie ließen sich bis ans Ende der Gruppe zurückfallen. »Willst du mich wieder anschreien?«, fragte Raoul sie ganz direkt.
Alanna wurde rot und sah auf ihren Sattel hinunter. »Nein.
Ich wollte mich entschuldigen. Ich hätte nicht die Beherrschung verlieren sollen.«
Raoul grinste. »Ich wollte dich ja tatsächlich ein bisschen aufziehen«, gab er zu. »Klar, dass du da böse geworden bist. Du hast ja auch wirklich das Recht zu tun, was du willst.«
Sie sah ihn verblüfft an. »Habe ich das?«
Raoul runzelte die Stirn. »Ich wollte ja eigentlich nichts darüber sagen, aber jetzt, wo sich die Gelegenheit bietet, sage ich es doch. Alan, du scheinst zu glauben, dass wir dich nicht mögen, wenn du nicht alles genauso machst wie wir anderen auch. Bist du denn nie auf die Idee gekommen, wir könnten dich gerade deshalb mögen, weil du anders bist?«
Alanna starrte ihn an. Zog er sie schon wieder auf?
Raoul lächelte. »Wir sind deine Freunde, Alan. Hör auf zu denken, wir könnten dich wegen der geringsten Kleinigkeit blöd anmachen.«
»He, Raoul!«, rief da jemand von vorn. »Komm her und hilf uns mal die Wette zu schlichten!«
Er nickte Alanna zu, spornte sein Pferd an und ritt zur Spitze der Gruppe.
»Hast du dich mit ihm versöhnt?«
Alanna drehte sich um. Gary ritt gleich hinter ihr.
»Weißt du nicht, dass es sich nicht gehört zu lauschen?«, bemerkte sie ärgerlich.
Er grinste. »Wie soll ich denn jemals etwas erfahren, wenn ich nicht lausche? Hör zu – diese ewigen Streitereien nerven mich total. Ich werde dafür sorgen, dass dich keiner mehr zum Schwimmen auffordert.«
Alanna ließ den
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