Alanna - Das Lied der Loewin
Vetter und dass er der Schwarzen Stadt, die jener fürchtete, die Stirn bieten solle. Doch sie musste sich irren. Nicht einmal Roger besaß den Mut und die Grausamkeit, seinen jungen Vetter in den sicheren Tod zu schicken. Oder doch?
7
Die Schwarze Stadt
Der Ritt nach Süden war der längste und beschwerlichste, den Alanna jemals erlebt hatte. Sie waren eben eine Tagereise von Corus entfernt, als sich die Umgebung veränderte. Die Hügel wurden felsiger, die Bäume kleinwüchsig und verkrüppelt, und die Bodenpflanzen schienen um jeden Wassertropfen zu kämpfen, den sie dem Boden entziehen konnten. Die Erde selbst war braun und ausgedörrt und von Rissen durchzogen. Eidechsen, Schlangen und hie und da ein Kaninchen blickten zu den Reitern auf, als wären es Eindringlinge, und die Sonne schien zehnmal heißer zu brennen. Bis zum Ende des zweiten Tages war aus der rissigen Erde Sand geworden und aus den Hügeln lang gestreckte Dünen. Sie waren in der Großen Südwüste angelangt.
Abends bediente Alanna Lord Martin, Myles und den Wachhauptmann. Tagsüber ritt sie mehrere Stunden lang an Myles’ Seite und erfuhr vom Leben und den Gebräuchen der Bewohner dieses Landstrichs. Myles war ein großartiger Lehrer und er wusste viel über die Südwüste zu berichten. Des Öfteren ertappte sie Lord Martin dabei, wie seine harten Augen respektvoll wurden, wenn er den Ritter ansah.
Alanna war nicht die Einzige, die Unterricht bekam. Lord
Martin lehrte sie alle, wie man in einer derart öden Gegend überlebte.
Irgendwann einmal konnte vielleicht ihr Leben davon abhängen, dass sie wussten, welche Pflanzen Wasser speicherten oder wie man eine Oase fand.
Je mehr sie sich Persopolis näherten, desto häufiger trafen sie auf Bazhir. Die Wüstenbewohner waren zähe Reiter und unbarmherzige Kämpfer. Ihre Frauen versteckten sie in Zelten aus Ziegenhäuten. Aber Alanna spürte, wie Männer und Frauen gleichermaßen die Fremden mit ihren stolzen, schwarzen Augen musterten. Da sie ahnte, dass Lord Martin seine Untergebenen aus dem Stamm der Bazhir nicht mochte, wandte sie sich an Myles.
»Die Bazhir sind ungewöhnlich«, meinte der Ritter. »Martin hat guten Grund für seine Abneigung gegen sie.«
»Ich glaube, er kann keinen leiden«, brummte Alanna.
Myles ignorierte diese Bemerkung. »Weißt du – man sagt dem vorhergehenden König nach, er habe diese ganze Gegend bis weit in den Süden, bis hin zum Binnenmeer, erobert. In Wirklichkeit hat er lediglich das Hügelland im Osten und den Küstenstrich von Leganhafen bis zum Tyranfluss eingenommen, nicht aber diese Wüste hier. Sie ist viel zu groß. Stattdessen hat er mit einigen Bazhir Verträge abgeschlossen und ein paar andere hat er niedergemetzelt. Heute wird Roald von einigen Stämmen als König anerkannt. Sie betreiben Handel mit dem übrigen Königreich und versuchen keine Schwierigkeiten zu machen. Die anderen werden als Abtrünnige bezeichnet. Sie lassen Roald nicht als ihren König gelten und sie machen denen, die die Südstraße benutzen, das Leben schwer. Der Stamm, der Persopolis bewohnt, ist dem König freundlich gesinnt, und das ist sehr
wichtig. Persopolis ist die einzige von den Bazhir erbaute Stadt.«
Alanna dachte eine Weile über das eben Gehörte nach. »Warum haben sie nur eine Stadt erbaut?«, fragte sie. »Und warum ausgerechnet hier inmitten dieser götterverlassenen Gegend?«
»In Persopolis gibt es fünf Quellen«, sagte Lord Martin schroff und lenkte sein Pferd neben sie. »Und was die Tatsache betrifft, dass es ihre einzige Stadt ist – es wird gesagt, sie hätten sie gebaut, um die Schwarze Stadt zu bewachen.« Er schnaubte. »Eine Torheit, wenn ihr mich fragt. Weshalb sollte man eine Stadt bauen, um eine andere zu überwachen, die man kaum sehen kann?« Er ritt wieder zurück die Reihen entlang.
Alanna sah Geoffreys Vater aus zusammengekniffenen Augen hinterher. »Ich begreife das nicht«, sagte sie. »Er mag die Bazhir nicht – und trotzdem machte ihn Seine Majestät zum Herrscher über die Wüste.«
»Martin mag die Bazhir nicht – und sie mögen ihn nicht –, aber er ist gerecht«, entgegnete Myles. »Er ist gerecht, selbst wenn ihn das umbringt. Die Bazhir wissen das, also nehmen sie es mit ihm auf. Keinem anderen wäre es gelungen, ihren Respekt zu erringen, auch wenn sie ihm den nur sehr widerwillig zollen.« Myles schob die Kapuze des Burnus zurück, den er seit dem zweiten Tag ihrer Reise trug, und warf ihr einen
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