Alanna - Das Lied der Loewin
Lücke zu führen. Sie nahm sich nicht die Zeit darüber nachzudenken, was sie tat. Stattdessen erinnerten sich ihre Muskeln an den Ablauf des endlosen Drills, den sie wieder und immer wieder mit einem zu schweren Schwert wiederholt hatte. Geoffrey machte eine Bewegung, um anzugreifen oder zu parieren, und Alannas Arme und Körper erinnerten sich an die Bewegung, die einem derartigen Angriff oder einer derartigen Parade stets folgte. Alanna liefen die Schweißtropfen in die Augen. Sie schüttelte sie ab und taumelte ein wenig. Geoffrey nutzte den kurzen Augenblick aus, in dem sie nicht sicher stand, und wollte einen Hieb anbringen, der den Wettkampf beendet hätte. Stattdessen machte Alanna mit ihrer Klinge eine kräftige Drehbewegung und Blitz umschlang Geoffreys Schwert wie eine metallene Viper. Es flog ihm aus der Hand, und Geoffrey gelang es nicht, es noch zu packen. Mit derselben Bewegung, mit der sie ihn entwaffnet hatte, berührte Alanna mit der Spitze ihres Schwertes das Tuch, das Geoffreys Nasenrücken bedeckte.
Der Junge trat zurück und kniete sich nieder. »Ich ergebe mich«, sagte er und schaute lächelnd zu ihr auf. »Gut gekämpft, Alan! Sehr gut!«
Sie starrte ihn nach Luft japsend an. Ihre Lunge brannte wie Feuer. Dann merkte sie, dass das Geräusch in ihren Ohren Applaus war. Ihre Freunde, nein, alle Pagen und alle Knappen jubelten ihr zu.
»Sehr gut, Aram«, murmelte Herzog Gareth, zu Hauptmann Sklaw gewandt. »Du hast einen tadellosen Schwertkämpfer aus ihm gemacht.«
»Ich war’s nicht, Euer Gnaden«, knurrte Sklaw und starrte
den Pagen an, der an den Bändern seiner Stoffrüstung nestelte.
»Es war dieser Trebond, und er hat es ganz für sich allein geschafft.«
An diesem Abend stattete Jonathan seinem Onkel einen Besuch ab.
»Onkel?«, sagte er. »Ich möchte dich um einen Gefallen bitten. Es geht um diese Reise nach Persopolis im Lehnsgut Meron.«
Herzog von Naxen lächelte. »Du weißt, dass mir deine Bitte ein Befehl ist, Jon.«
Jonathan lachte in sich hinein. »Fragt sich nur, ob du mir auch gehorchen wirst. Onkel – ich möchte, dass Alan mit uns kommt. Du sagtest, die Pagen wollten später in diesem Sommer nach Naxen reisen. Da könnte er ja dann hier bleiben. Zum Ausgleich.«
Herzog Gareth sah Jon in die Augen. »Das ist sehr ungewöhnlich, Jonathan.«
»Ich weiß«, antwortete der Prinz gelassen. »Es ist nur so – mit Gary und Raoul und Alex und mir verbringt Alan mehr Zeit als mit den Pagen. Ich glaube, es würde ihm mehr Spaß machen, mit uns zu kommen. Sir Myles reitet ja auch mit und er ist ...« Der Prinz brach ab, und dann, als er den verständnisvollen Blick seines Onkels sah, fuhr er fort: »Myles ist für Alan eher ein Vater, als Lord von Trebond es ist. Ich weiß, dass wir nicht schlecht über unsere Eltern reden sollen, und Alan beklagt sich auch nie, aber – wir haben alle Augen und Ohren.«
Der Herzog nahm sich eine Nuss aus einer Schale und knackte sie. »Will Alan mit nach Persopolis?«
»Weiß ich nicht«, entgegnete Jonathan. »Ich denke schon, da wir ja alle gehen. Wenn du aber damit meintest, ob er weiß, dass ich dich frage – nein. So wie ich Alan kenne, käme er nie auf die Idee, ich könnte für ihn so einen Gefallen erbitten.«
»Hm. Hast du dir schon einen Knappen ausgesucht, Jonathan? Falls du die Ritterprüfung bestehst?«
»Ich habe da einen im Sinn«, meinte Jonathan ruhig. »Es ist keine leichte Entscheidung.«
Der Herzog überlegte. Schließlich nickte er: »Sofern die anderen Jungs es nicht übel nehmen, spricht eigentlich nichts dagegen, dass er mit euch kommt.«
Jon lächelte. »Sie werden es nicht übel nehmen. Nach außen sieht es fast so aus, als wäre Alan bloß ein kleiner Knappe, der sich mächtig dafür interessiert, was die Pagen so treiben.«
»Sehr gut beobachtet. Willst du es Alan sagen, oder soll ich das übernehmen?«
»Sag du es ihm lieber, Onkel. Ich dank dir von ganzem Herzen.« Jonathan küsste die Hand des Herzogs. Er war schon halb zur Tür hinaus, als sein Onkel ihn zurückrief.
»Warum liegt dir so viel daran, Jon?«
Der Prinz drehte sich um. »Weil er mein Freund ist. Weil ich genau weiß, wie er zu mir steht – und wie ich zu ihm stehe. Weil ich glaube, dass er für mich sterben würde und – und ich auch für ihn, glaube ich. Genügt das?«
»Du bist etwas frech, Neffe«, sagte Gareth mit gespielter Strenge. »Bitte also Timon, er soll Alan suchen und ihn zu mir bringen.«
Alanna war
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