Alanna - Das Lied der Loewin
Könnt Ihr mir eine Frage beantworten? Ich weiß, dass sie ein wenig unhöflich ist, aber ich muss sie einfach stellen.«
Der Bazhir lächelte und nahm zwei mit einer grünen Flüssigkeit gefüllte Gläser entgegen, die ein Lakai anbot. Eines davon reichte er Alanna. »Trink«, befahl er. »Es wird dir schmecken. Und nun musst du mir selbstverständlich deine ›ein wenig unhöfliche‹ Frage stellen.«
Alanna nippte vorsichtig an der grünen Flüssigkeit. Sie schmeckte lecker. »Ich – eh –, ich konnte nicht übersehen, dass Lord Martin – eh –, dass er die Bazhir nicht sonderlich mag. Er soll ja angeblich gerecht sein und so ...«
Ali Mukhtab grinste. »Du hast recht. Er verhält sich uns gegenüber außerordentlich korrekt und er kann uns nicht ausstehen. Fahr fort.«
»Wenn das so ist, warum seid dann Ihr – ein Bazhir – der Verwalter dieses Schlosses?«
Mukhtab drehte sein Glas zwischen den Fingern. »Dein Freund Myles sagte mir, du seiest intelligent. Er sagte mir nicht, dass du auch taktlos bist.«
Alanna errötete. »Myles hat gesagt, ich sei intelligent? « Sie wurde noch röter. »Dass ich taktvoll bin, habe ich nie behauptet«, setzte sie dann nach.
»Der Posten des Schlossverwalters von Persopolis fällt von Rechts wegen an einen Bazhir«, erklärte Ali Mukhtab. »Das kann Lord Martin nicht ändern, wenn ich auch weiß, dass er es versucht hat. Das ist in dem Übereinkommen mit dem vorherigen König festgeschrieben. Ich glaube, unsere Leute würden einen Aufstand machen, wenn der König aus dem Norden versuchen würde diesen Brauch abzuschaffen.«
»Wegen eines einzigen Postens im Schloss?«, fragte Alanna. »Das kommt mir ein bisschen – na ja, ein bisschen übertrieben vor.«
»Es gibt einen guten Grund für diese Tradition«, erklärte der Bazhir. Er sah zum Fenster hinaus in den trüber werdenden Himmel. »Wenn du dich mit deinen Freunden zusammen unauffällig rausschleichen kannst, werde ich euch allen etwas Interessantes zeigen.«
Ein paar Minuten später hatten sich Alanna und ihre Freunde in einem der hinteren Gänge versammelt. Jonathan kam als Letzter; für ihn war es schwieriger gewesen, sich wegzustehlen.
»Wenn ich noch einen Edlen höre, der zu mir sagt, er wolle noch einmal eine grüne Stadt sehen, bevor er stirbt ...«,
murrte Jon, der mit seiner Geduld offensichtlich am Ende war. »Was ist los?«
Alanna übernahm eine hastige Vorstellung, und die jungen Männer folgten dem Schlossverwalter den Gang hinunter.
»Ich muss zugeben, dass ich überrascht bin«, sagte Ali Mukhtab zu Jonathan. »Ich hätte nicht gedacht, dass Alans Nachricht Euch fortlocken könnte von all den Leuten, die sich so bemühen Eure Zuneigung zu gewinnen.«
»Das ist es ja gerade«, entgegnete Jonathan und kniff Alanna in die Nase. »Wenn ich ein anderer wäre, hätten sie kein einziges Wort für mich übrig. Aber ich bin der Prinz und ich glaube, jeder Mann im Saal wollte etwas von mir – abgesehen von Lord Martin«, fügte er hinzu und nickte zu Geoffrey hinüber. »Ich bin nicht hierhergekommen, um behandelt zu werden, als wäre ich aus Gold.«
Sie blieben vor einer hölzernen Tür stehen. Mukhtab zog einen Messingschlüssel hervor, der zum Schloss und zur Klinke passte. »Das ist das Sonnenuntergangszimmer«, erklärte er ihnen, während er die Tür aufschloss. »Nur der Schlossverwalter verfügt über einen Schlüssel.«
Die fünf Jungen schauten sich an. Das war der Raum, den Herzog Roger erwähnt hatte, der Raum, den man gebaut hatte, um von dort aus die Schwarze Stadt zu beobachten. Er sah vollkommen anders aus als alle übrigen Räume des Schlosses. Der steinerne Fußboden und die steinernen Wände waren mit kleinen, leuchtend bunten Kacheln ausgelegt, die Bilder ergaben. Viele dieser Bilder zeigten die Schwarze Stadt und Mitglieder des Stammes der Bazhir. Alanna betrachtete sich die Wände eingehend und berührte sie vorsichtig mit ihren Fingern.
»Das hier ist sehr alt«, sagte sie schließlich.
»Nicht einmal wir selbst wissen, wie alt es ist«, entgegnete Ali Mukhtab. Die Tür ging auf. Dienstboten erschienen mit Kissen und Erfrischungen. Die Jungs schlenderten hinüber zu der Wand, die nach Westen blickte. Es gab keine Fensterscheibe, um die Wüstenluft auszusperren. Nur die Deckenpfeiler unterbrachen den Blick nach draußen.
Das Zimmer lag hoch oben in der Außenwand des Schlosses. Vor ihnen, so weit der Blick reichte, erstreckte sich die Große Südwüste.
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