Alasea 01 - Das Buch des Feuers
Zeit gegeben haben - Wintershorst.«
Kral und Ni’lahn sprachen gleichzeitig dieselbe Frage aus: »Was?«
Er hob den Falken hoch empor. »Such, was wir verloren haben.« Der Vogel erhob sich, in einen Streifen Mondlicht getaucht, schwungvoll von seinem Handgelenk und schwebte mit kräftigen Schwingenschlägen über die nasse Lichtung. »Such unseren verlorenen König.«
VIERTES BUCH
Mondlicht und Magik
25
Tol’chuk tappte schwerfällig hinter den anderen her, die Schultern gegen den niederprasselnden Regen vorgeschoben. Das Unwetter hatte eingesetzt, kurz nachdem sie die Berghöhen verlassen und den Wald des flacheren Hochlandes betreten hatten. Blitze zuckten wie Zackenspeere über den nächtlichen Himmel und erhellten den dunklen Wald vor ihnen.
In einem dieser Ausbrüche entdeckte er Mogwied und dessen Wolfsbruder eine halbe Meile entfernt auf dem Weg weiter unten. Trotz des heulenden Sturms waren seine Gefährten leichten Fußes vorangekommen, nachdem sie erst einmal den Waldrand erreicht hatten. Wälder waren ihre Heimat, und obwohl dies nicht ihr angestammtes Gebiet war, schienen das vertraute Dach aus verwobenen Zweigen und das buschige Unterholz ihre Gliedmaßen zu erneuter Kraftanstrengung zu beflügeln. Der Wolf rannte trotz der Behinderung durch sein geschientes Bein zwischen den Bäumen hindurch, während Tol’chuk, geschüttelt von Hustenanfällen und geplagt von einer ständig tropfenden Nase, feststellen musste, dass er immer weiter hinter den anderen zurückblieb.
Tol’chuk träumte von einer trockenen Höhle mit einem knisternden Feuer im heimischen Herd. Er senkte den Kopf und fuhr sich mit dem Unterarm über die wund geriebene Nase. Der erste Wintersturm war immer die Zeit für das Sulachra gewesen, die Zeremonie für die Toten, bei der getrockneter Ziegenmist in den Herden der Familien verbrannt wurde, um die Geister der Dahingeschiedenen zu ehren. Er stellte sich die Höhlen vor, von süßem Rauch durchwabert, während die Frauen Fächer aus getrockneten Toka’toka-Blättern schwenkten, um die gemischten Düfte hinaus in den Sturm zu treiben. Blitze sollten angeblich Risse in der Himmelskuppel öffnen, durch die der Rauch in die nächste Welt sickerte, um den Toten mitzuteilen, dass sie in der Erinnerung weiterlebten. Tol’chuk hustete, ein Echo des Donners von oben, und fragte sich, wer wohl die Sulachra für seinen toten Vater durchführen würde. Und wenn für ihn kein Rauch aufstiege, würde er dann denken, man hätte ihn vergessen?
Während sich Tol’chuk auf dem Pfad dahinschleppte, spürte er den Beutel an seinem Schenkel, und plötzlich hatte er eine Eingebung. Er blieb taumelnd stehen, seine Hand umfasste das Herz der Og’er in dem Beutel, und er erinnerte sich an das Wort der Triade. Die Geister der verstorbenen Og’er - einschließlich des Geistes seines Vaters - hatten die Reise in die nächste Welt nicht gemacht. Sie waren hier gefangen, in dem Herzstein!
Diese Erkenntnis riss ein Loch in Tol’chuks Gemüt auf, und eine tiefe Leere senkte sich in seine Seele. Die Sulachra-Zeremonie war ein Schwindel! Der Rauch hatte die geblähten Nüstern der Geister niemals erreicht! Die Toten waren niemals in der nächsten Welt angelangt.
Tol’chuk nahm die Hand von dem Beutel mit dem Stein. Die Sulachra war immer eine Zeit gewesen, da sich alle Og’er-Stämme für ein paar Tage zum gemeinsamen Gedenken zusammengefunden hatten. Es war eine Zeit des Friedens und der Besinnung gewesen, eine kurze Unterbrechung der Stammeskriege. Die Sulachra vereinte das Og’er-Volk in ihrer Huld. Doch nun, da er um die Lüge wusste, die hinter diesem Akt steckte, war die Schönheit des Rituals für Tol’chuk für immer verdorben.
Innerhalb eines Herzschlags war das Gefühl der Zugehörigkeit zu den Og’ern schwächer geworden. Er blickte zu dem dunklen Wald hinüber, der sich vor ihm ausbreitete. So viele Meilen hatte er auf seiner Reise noch zurückzulegen. Was sollte er noch alles während seiner Wanderung erfahren? Was würde aus ihm werden?
Donner von oben verhöhnte ihn, und ein Blitz spaltete das dunkle Dach der Welt. In der aufzuckenden Helligkeit stellte er fest, dass er Mogwied und Ferndal verloren hatte. Seine Reisegefährten waren zwischen den glänzenden schwarzen Baumstämmen verschwunden.
Allein zwischen den Bäumen, hatte Tol’chuk das Gefühl, das einzige Lebewesen im Umkreis von tausend Meilen zu sein. Zwischen den einzelnen Donnerschlägen
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