Alasea 01 - Das Buch des Feuers
seinen Regenmantel aus Öltuch zurecht und kauerte sich wieder nieder, um nach seinem Bruder Ausschau zu halten. Zum Glück hatte Ferndal mit seinen ausgeprägten wölfischen Sinnen den Tunnel entdeckt. Einen solchen Unterschlupf brauchten sie alle, ganz besonders der kranke Og’er. Als er sich vorbeugte, um in die Dunkelheit zu spähen, rann ihm das Regenwasser, das im Kragen seines Mantels eine Pfütze gebildet hatte, als eisige Spur den Hals hinunter. Vom Kopf bis zu den Zehen zitternd, rief Mogwied voller Ärger: »Beeil dich, Ferndal, bevor ich hier draußen erfriere.«
Plötzlich zuckte ein greller Blitz hinter Mogwied auf und spiegelte sich in einem Augenpaar wider, das nur eine Armeslänge von Mogwieds Nase entfernt war. Mit einem schrillen Aufschrei taumelte Mogwied zurück. Als er mit dem Hinterteil in einer eiskalten Pfütze landete, durchfuhr ihn die Erkenntnis, dass die Augen bernsteinfarben und schlitzförmig waren. Es waren die Augen seines Bruders.
Er beobachtete, wie Ferndal seinen Wolfskopf zwischen zwei Wurzeln hindurchschob. Wenn die Miene eines Wolfs Erheiterung ausdrücken konnte, dann tat Ferndal dies im Augenblick zweifellos.
»Ferndal, du dummer Kerl!« Mogwied rappelte sich auf. Seine Wut und das Gefühl von Peinlichkeit waren stärker als das Frieren. »Du kannst doch eine Warnung abgeben, bevor du über jemanden herfällst!«
Die Augen seines Bruders funkelten. Der hungrige Spatz, der sich auf einen Wurm konzentriert, wird von einem Falken verspeist.
»Nun ja, schon gut, ich besitze keine feine Nase und keine nachtsehenden Augen wie du. Die Sinne eines Menschen sind so dumpf. Warum brauchen sie überhaupt so viel Platz für Nase und Augen in einem Gesicht?« Mogwied wischte sich mit finsterer Miene den nassen Hintern ab. »Also, dann besteht keine Gefahr?«
Ein Bild formte sich hinter Mogwieds Augen, während Ferndal aus dem Tunnel kletterte: Ein Nest, eingerahmt von trockenen Federn, hoch oben in der Gabelung eines Baums. Ferndal humpelte mit seinem geschienten Bein auf den Bruder zu.
Mogwied seufzte. »Endlich kann ich mich ein bisschen aufwärmen und diese Kleider trocknen. Mir kommt es vor, als wäre ich seit einer Ewigkeit schon nass.«
Tol’chuks Bild formte sich in Mogwieds Geist. Ferndals Augen funkelten ihn an.
»Ich weiß nicht, wo er ist«, antwortete Mogwied. »Wenn wir im Tunnel ein Feuer anzünden, müssten ihn die Flammen eigentlich hierher leiten.«
Ferndals Haltung schien ein Zögern auszudrücken, eine Frage, als überlege er, ob er Mogwied hier lassen und sich auf die Suche nach dem langsamen Og’er machen sollte.
»Er wird schon kommen«, sagte Mogwied nachdrücklich, plötzlich von der Vorstellung beunruhigt, wieder allein gelassen zu werden. »Außerdem ist es unwahrscheinlich, dass einem Og’er etwas über den Weg läuft, womit er nicht fertig wird.«
Anscheinend beruhigten diese Worte den Wolf, auch wenn seine Augen immer noch über die Kuppen und Hänge rundum schweiften. Zufrieden, dass sein Bruder bei ihm blieb, warf Mogwied seine Taschen zwischen den Wurzeln hindurch und zwängte sich dann mühsam in den Eingang zum Tunnel.
Ein knöcheltiefer Teppich aus verwehten Blättern und Tannennadeln begrüßte Mogwied. Er verzog das Gesicht angesichts dieser mulchigen Masse und bückte sich, um sein Gepäck von der Stelle aufzuklauben, wo es unter dem Laub begraben lag. Während er seine Taschen von dem Blattwerk befreite, hörte er ein dumpfes Grollen außerhalb des Tunnels. Zuerst hielt er es für Donner, doch dann erkannte er, dass es eine Warnung von seinem Bruder war.
Er drehte sich rechtzeitig genug um, um den Lichtstreifen zu erkennen, einem flammenden Pfeil ähnlich, der zwischen den steilen Hängen in ihr kleines Tal niederfuhr. Das Licht zielte geradewegs auf seinen Bruder. Der reckte die Nase in Richtung der Erscheinung, und ein fortgesetztes Grummeln drang aus seiner Kehle.
Was war das? Mogwied zwängte sich näher zu den Wurzeln, um zwischen ihnen hindurchzuspähen. Plötzlich senkte sich der Lichtstreifen und zielte nicht mehr auf seinen Bruder - sondern direkt auf ihn! Mogwied taumelte zurück, als ein leuchtender Vogel sich auf sein Gesicht stürzte.
Aus dem Schnabel des Vogels löste sich ein durchdringender Schrei.
Mogwied warf sich rückwärts in das tiefe Laub und sah, wie das Geschöpf zwischen den Wurzeln hindurch in den Tunnel eintauchte. Mit einem Aufschrei riss er die Arme vor den Kopf. Das Unwesen segelte mit heftigen
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