Alasea 01 - Das Buch des Feuers
ebenfalls zu folgen, als sich hinter ihm eine Stimme erhob. »Ich komme nicht mit«, erklärte Merik.
Kral machte auf dem Absatz kehrt. Er hielt die Axt immer noch fest im Griff. »Du hast einen Eid geschworen.«
Merik zuckte mit den Schultern. »Ich habe mein Versprechen gehalten, euch zu helfen, bis der Freund des Og’ers gefunden wäre.« Er deutete auf den Wolf. »Da ist er. Mehr habe ich nicht geschworen, und ich habe mein Wort gehalten. Jetzt bin ich frei. Ich werde mein Licht mitnehmen und anderswo nach meinem Vogel suchen - allein. Ich finde eure Gesellschaft ermüdend.«
»Du Ungeheuer!« raunzte Kral. »Wir brauchen dein Licht.«
»Das geht mich nichts an«, höhnte Merik, indem er die gleichen Worte gebrauchte, die Kral kurz zuvor verwendet hatte, und sprach in dem gleichen verächtlichen Tonfall. Er trat einen Schritt von der Öffnung des Spalts weg. »Ich gebe euch etwas mit auf den Weg…«
Kral wartete, die Stirn verdüstert wie von Gewitterwolken.
Merik lächelte, doch in seinen Augen lag keine Freude. »Ich gebe euch meine besten Wünsche mit auf den Weg.«
Kral heulte vor Zorn auf und sprang auf den Elv’en zu.
Tol’chuk hielt den Mann aus den Bergen mit der Brust auf, als dieser an ihm vorbeizustürmen versuchte. »Nein! Kein Blutvergießen!« Kral wollte sich mit dreschflügelartigen Bewegungen einen Weg bahnen, aber Tol’chuk wich nicht vom Fleck. »Merik ist ein freier Mann, kein Leibeigener. Er hat sein Ehrenwort gehalten.«
Merik nickte dem Og’er zu, aber sein höhnisches Grinsen galt immer noch Kral.
»Wir können meinen Freunden ohne Licht nicht helfen«, gab Kral zu bedenken. »Du lässt sie sterben, nur weil du den Starrsinn eines Einzelnen gelten lässt.«
»Ich sehe gut in der Dunkelheit«, sagte Tol’chuk. »Ich bringe dich zu deinen Freunden - auch ohne den Elv’en-Stein.«
Kral schäumte innerlich vor Wut, alles andere als überzeugt von den Worten des Og’ers.
»Also, ich gehe dann jetzt«, sagte Merik. »Alles Gute, Og’er. Ich wünsche dir viel Glück.«
Während Tol’chuk den Mann aus den Bergen erneut davon abhielt, auf den Elv’en loszugehen, erspähten seine Og’er-Augen ein Glitzern in dem Schatten des Tunnels. »Warte!« sagte er. »Sieh nur!«
Alle Blicke schwenkten in die Tiefe des Tunnels. Das Glitzern war zu einem Leuchten geworden, und das Leuchten wurde zu einem deutlichen Licht, einer blauen Strahlung, die auf und ab hüpfte und weite Kreise zog.
»Mein Falke!« schrie Merik, als der Vogel näher kam.
Wie ein Leuchtstreifen schwebte der Mondfalke über Tol’chuks Kopf und landete auf dem hoch gestreckten Handgelenk des Elv’en. Der Vogel hielt die Flügel gespreizt, indes seine Brust sich vor Anstrengung heftig hob und senkte. Sein Licht schwankte und blinkte leicht, während er auf der Hand umhertrippelte.
»Jetzt kann er den Stein erübrigen«, raunte Kral dem Og’er mürrisch zu. »Er hat seinen verlausten Vogel gefunden und kann dessen Leuchten benutzen, um seinen Weg zu finden und sich feige davonzuschleichen.«
Offenbar hatte Merik die Worte des Gebirglers gehört. Er sprach, während er seinen Vogel eingehend betrachtete und ihm eine lose Feder von der Schulter zupfte. »Nein, ich behalte meinen Stein trotzdem.«
Kral fluchte und wollte wieder vorstürmen. Tol’chuk gelang es immer noch, ihn zurückzuhalten, auch wenn er es diesmal nur halbherzig tat, denn selbst er fand das Verhalten des Elv’en mehr als kleinlich. Was Kral gesagt hatte, war richtig und gerecht gewesen. Merik brauchte den Stein nicht, wohingegen sie ihn dringend benötigten.
Die nächsten Worte des Elv’en stellten den Glauben des Og’ers an den dünnen Mann wieder her. »Ich behalte meinen Stein, aber ich komme mit euch.«
»Warum«, fragte Kral bissig, »dieser plötzliche Wandel zur Nächstenliebe? Warum willst du uns jetzt helfen?«
»Ich biete keine Nächstenliebe an.« Merik kraulte die Kronfedern des Vogels. »Die Krallen des Vogels haben sich versilbert. Das ist das Zeichen.« Merik versuchte, seiner Stimme den üblichen gleichgültigen Klang zu geben, doch er konnte seine Erregung nicht verbergen. »Er hat unseren verlorenen König gefunden.«
Ni’lahn hatte den Rücken gegen den Stamm der alten Ulme gelehnt. Ihre Finger fuhren die Furchen der Rinde nach. In der Nähe, in ihrem Versteck am Waldrand, hörte sie die Stute vor Angst wiehern. Das Pferd war so tief in den Wald hineingeflüchtet, wie es das Seil erlaubte, mit dem es
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