Alasea 01 - Das Buch des Feuers
Das hast du bei De’nals Statue gesehen, und du hast es erlebt, als das Licht der Sonne oder des Mondes deine Kräfte entzündeten. Im Herzen weißt du das, nicht wahr?«
Sie nickte.
»Eine der leichtesten Methoden, Magik zu bewirken, besteht darin, ihre Gegenwart einfach zu enthüllen.«
Er’ril spürte aufgrund der Art, wie sich ihre Augenbrauen zusammenzogen, deutlich ihre Verwirrung. »Magik fließt verborgen durch dein Blut und deinen Körper. Nur die rote Hand kennzeichnet dich als eine Person, die über spirituelle Macht verfügt. Magik ist bestrebt - genau wie die Flamme in einer Laterne -, frei von dir wegzufließen und sich deiner Umgebung zu offenbaren. Doch so wie die Tür einer Laterne die Flamme verschließt, verbirgt dein Körper diese Wahrheit. Ich kann dir zeigen, wie du deine Tür öffnen und dein Licht leuchten lassen kannst.«
Elena erinnerte sich, was geschehen konnte, wenn Magik durch sie ›leuchtete‹. Ihre Eltern waren beide durch diese Flamme verbrannt. »Ich werde alles um mich herum töten«, warnte sie.
»Nein, ich verlange doch nicht von dir, dass du deine Magik hinausschleuderst. Das kann in der Tat töten. Ich bitte dich lediglich, dass du dich öffnest und anderen dein Inneres zeigst, damit sie die Flamme in dir erblicken.«
»Warum? Was soll das bewirken?«
»Kobolde fürchten das Licht und haben ein Gespür für Magik. Wenn du dich ihnen offenbarst, sind sie vielleicht verdutzt oder ehrfürchtig genug, um uns ein Entkommen zu gestatten.«
Ihre Augen wanderten prüfend über die Kobolde, die sie umdrängten. Sie sah, wie der Leichnam des Schuldirektors aufgehoben und auf dem Rücken einer Gruppe größerer Kobolde davongetragen wurde. Dies geschah mit anrührender Würde. Andere räumten den Weg frei, damit der Leichnam unbeschadet aus der Kammer gelangen konnte. Offensichtlich hatten die Kobolde Re’alto große Hochachtung entgegengebracht - oder zumindest der Magik, die ihm innewohnte.
Dieser Gedanke war offenbar auch Onkel Bol gekommen. »Es könnte tatsächlich gelingen. Anscheinend beten sie Magik an«, murmelte er.
»Wie soll ich das fertig bringen?« Elenas Stimme bebte.
»Es ist ganz leicht«, sagte Er’ril. »Da du nicht zulässt, dass die Magik dir entströmt, ist nicht einmal ein Blutritual nötig.« Er hob die Hand zu ihrer Wange und ließ sie dort liegen. Seine Augen versenkten sich in die ihren, und sie spürte ein Beben in den Knien, das nichts mit der Angst ihres Herzens zu tun hatte. »Schließ einfach die Augen und such in deinem Innern, so wie du es mit dem Körper deines Onkels getan hast.«
Sie tat wie ihr geheißen und drückte die Augen fest zu, doch die Angst hielt sich dicht an der Oberfläche ihres Bewusstseins. Ihre Ohren lauschten nach wie vor auf das Stampfen und Zischen der Kobolde, ihre Nase war erfüllt von dem beißenden Geruch. Sie verstand nicht, was von ihr verlangt wurde, und zitterte.
Plötzlich legte sich Er’rils Arm um ihren Körper. Er drückte ihre Wange an seine Brust. »Schsch, achte nicht auf all das, was um dich herum geschieht. Verschließ deine Sinne dagegen.« Der Geruch seines geölten Haars überlagerte den Gestank der Kobolde. Sein Flüstern erfüllte ihre Ohren und drängte die Laute in der Kammer zurück. Sie ließ sich in seiner Umarmung davongleiten. Sein Atem, warm und ruhig, streifte ihre Wange. »Sieh dich selbst«, sagte er. »Sieh die Frau in dem Kind, wie die Eiche in der Eichel. Finde deine Stärke, dann wirst du deine Magik finden.«
Seine Worte und seine Wärme verursachten Wogen von Gefühlen in Elena, die sie nicht in Worten hätte ausdrücken können. Sie versuchte nicht einmal, sie mit dem Verstand zu erfassen, sondern war einfach sie selbst, schob alles beiseite, was sie über sich wusste, war einfach nur. Während sie an einen Ort ohne Gedanken und ohne Substanz schwebte, wuchs ein Licht in der Dunkelheit. Nein, das stimmte nicht. Das Licht wuchs nicht, sie näherte sich dem Licht, umkreiste es wie eine Schwalbe, die zu ihrem Nest fliegt. Die Strahlung war nicht aus der Dunkelheit aufgetaucht: Sie war immer schon da gewesen!
Aus weiter Ferne hörte sie Er’rils Stimme: »Öffne die Augen und zeig es uns. Zeig uns deine Flamme, Elena.«
Jetzt verstand sie. Sie schob Er’rils Arm von sich weg und richtete sich auf. Sie brauchte niemandem zu verbergen, wer sie war! Als sie aufrecht stand, öffnete sie die Augen und entfesselte ihr Herz, öffnete eine Tür, die seit ihrer Kindheit verschlossen
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