Alasea 01 - Das Buch des Feuers
Blutfleck blieb.
»Die meisten sind nicht lustig.« Die Mutter tätschelte Elenas Wange mit der Handfläche, aber ihr Blick verharrte weiterhin auf Elenas Hand, und kleine Sorgenfalten umgaben ihre Lippen. »Ich bin sicher, das verschwindet wieder. Mach dir keine Sorgen.«
»Ich hoffe, bis zum Fest ist es weg.«
»Wenn nicht, meine Süße, kannst du meine eleganten Handschuhe tragen.«
Elenas Gesicht hellte sich auf. »Könnte ich das?« Sie hörte mit dem Schrubben auf und legte die Bürste beiseite; allmählich brannte ihre Haut. Vielleicht sollte sie es einfach so lassen. Sie hatte schon immer davon geträumt, einmal die langen Satinhandschuhe ihrer Mutter tragen zu dürfen. Sie sähen zu ihrem Festkleid hinreißend aus!
»Werd mit dem Waschen fertig, bevor das Wasser kalt ist. Wir sprechen nachher noch eingehender über das Fest.« Die Mutter erhob sich und strich das Kleid glatt. »Es ist schon spät. Vergiss nicht, das Wasser abzulassen und die Wanne zu säubern, bevor du schlafen gehst.«
»Ja, Mutter«, sagte sie mit einem ärgerlichen Seufzen. Sie war kein Kind mehr.
Ihre Mutter gab ihr einen Kuss auf den Kopf. »Gute Nacht, mein Schatz. Wir sehen uns morgen früh.«
Ihre Mutter schlüpfte aus der Badekammer; bevor sie die Tür hinter sich schloss, hörte Elena die laute Stimme ihres Vaters, die aus der Wohnstube herübertönte. Joach musste sich immer noch eine Gardinenpredigt anhören, weil er seine Schwester im Obsthain allein gelassen hatte. Elena konnte sich Joachs Gesichtsausdruck lebhaft vorstellen - pflichtbewusste Zerknirschung. Sie wusste jedoch, dass die strengen Worte ihres Vaters an Joach vorbeirauschen würden, ohne einen nennenswerten Eindruck zu hinterlassen.
Sie lächelte. Nachdem die dicke Eichentür geschlossen worden war, hörte sie nur noch ein leises Murmeln. Zufrieden tauchte sie tiefer in das dampfend heiße Wasser ein; ihre Sorge wegen des brennenden Apfels war zu einem fernen Pochen abgeklungen. Ganz bestimmt war es nichts anderes als irgendein alberner Streich gewesen. Plötzlich war sie froh, dass sie den Apfel nicht erwähnt hatte. Das Ganze kam ihr so töricht vor, nun, da sie zu Hause war.
Dennoch…
Sie hielt die Hand ins Licht der Lampe. Das Licht schien von ihrer Hand aufgesaugt zu werden und die Farbe in Wirbeln auf ihrer Hand zu tanzen. Sie erinnerte sich, wie sie an warmen Apfelstrudel gedacht hatte, als sich der Apfel plötzlich erhitzt hatte und zu einer Dörrfrucht geschrumpelt war.
Das kam ihr fast wie Magik vor.
Sie schwenkte die Hand durch die dampfende Luft und tat so, als ob sie einen bösen Zauber ausüben würde.
Grinsend über ihre törichte Laune, stellte sie sich vor, sie wäre einer der uralten Dunkelmagiker aus diesen alten Geschichten, die an Lagerfeuern erzählt wurden, Geschichten aus der Zeit, bevor der Große Gul’gotha über das Östliche Meer gekommen war, um ihr Volk vor dem Chaos zu bewahren.
Die geheimnisvollen Geschichten über wilde Magik wurden des Nachts geflüstert und in Liedern besungen: von dem silberhaarigen Elfenvolk und den Riesen im Hochland; von A’loatal, der tausendtürmigen Zitadelle, Hochburg schwarzer Magik, die vor ewigen Zeiten im Meer versunken war; von den Og’ern in den Westlichen Marken, die wie Menschen sprachen, in denen jedoch der Hass auf die gesamte Menschheit brannte; von den Werwesen, die mit den Schwärmen der Verdammten weit im Osten schwammen. Elena hätte hunderte solcher Geschichten wieder erzählen können, die sie während des Heranwachsens gehört hatte.
Mit dem Verstand wusste Elena, dass das alles Ammenmärchen und die reine Erfindung waren, dennoch gingen ihr die alten Geschichten zu Herzen. Sie erinnerte sich, wie sie auf dem Schoß ihres Vaters gesessen hatte, die winzigen geballten Fäuste zum Hals erhoben, wenn ihr Onkel Bol zum wiederholten Male ›Die Schlacht um das Tal des Mondes‹ erzählte. Er hatte der Geschichte eine Einleitung vorangeschickt, indem er mit gedämpfter Stimme erklärte, dass genau dieses Tal der Schauplatz der Schlacht gewesen sei. »Und die Stadt Winterberg war damals nur eine kleine Wegkreuzung«, erklärte er in heimlichtuerischem Flüsterton, »mit einem schäbigen Stall und einer zugigen Taverne.« Sie hatte bei dieser Vorstellung gelacht. Damals, als sie diese Geschichte gehört hatte, war sie noch ein kleines Kind gewesen, das nicht einmal auf die Felder gehen durfte, und sie hatte jedes Wort ihres Onkels in sich aufgesogen, als ob alles die reine
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