Alasea 01 - Das Buch des Feuers
von einem tiefen Purpurrot zu einem helleren Rot verblasst war, das sich kaum von ihren verbrühten Armen abhob. Zumindest hatte das heiße Wasser einen Teil der Verfärbung weggewaschen - ein kleiner Trost in Anbetracht ihrer wunden Haut und des arg in Mitleidenschaft gezogenen Badezimmers.
»Also, was ist wirklich passiert?« flüsterte Joach. Er saß mit kreuzweise untergeschlagenen Beinen am Fußende von Elenas Bett. Er war in ihr Zimmer geschlichen, nachdem ihre Mutter damit fertig gewesen war, ihr die Arme und den Rücken mit einem medizinischen Balsam einzureiben.
Elena knüllte das Kopfkissen im Schoß zusammen und saß so da, dass ihre Knie beinahe die ihres Bruders berührten. »Ich weiß es nicht genau«, sagte sie mit leiser Stimme in den dunklen Raum hinein. Keiner von beiden wollte, dass die Eltern auf sie aufmerksam wurden. Elena hörte hin und wieder die raue Stimme ihres Vaters, die von unten herauftönte. Sie zuckte bei jedem seiner Ausbrüche zusammen, ihre Wangen brannten vor Scham. Sie waren keine reiche Familie, und es würde viel Geld kosten, das zerstörte Badezimmer instand zu setzen.
Plötzlich drang die Stimme ihrer Mutter zu ihnen herauf. »Sie haben gesagt, sie könnte vielleicht die Eine sein! Ich muss ihnen Bescheid sagen!«
Die Stimme ihres Vaters wurde noch lauter. »Frau, du wirst nichts dergleichen tun! Dieser Zweig deiner Familie ist verrückt! Fila und Bol…«
Joach stieß sie mit dem Knie an. »Ich habe sie noch nie so heftig streiten hören.«
»Was meinst du, worüber reden sie?« Elena lauschte angestrengt, um die Worte zu verstehen, aber ihre Eltern waren wieder in leises Murmeln verfallen.
Joach zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht.«
Elena merkte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Sie war dankbar für die Dunkelheit, die sie verbarg.
»Es erstaunt mich, dass die gesprungene Wanne sie so sehr aufregt«, sagte Joach. »Du liebe Güte, ich habe schon Schlimmeres angestellt. Erinnerst du dich, als ich Spürnase mit dem Korb voll Haselnüssen fütterte, die Mutter für Vaters Geburtstagskuchen verwenden wollte?«
Elena konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Sie rieb sich die Augen. Spürnase, ihr Hengst, hatte die ganze Nacht an Durchfall gelitten, und ihr Vater hatte seinen ganzen Geburtstag damit verbracht, den Schuppen zu reinigen und das Pferd zu bewegen, um zu verhindern, dass es eine Kolik bekam.
»Und damals, als ich den Wak’len-Kindern weisgemacht habe, man könnte den Mond berühren, wenn man von den obersten Zweigen eines Baumes abspringt?« Er kicherte im Dunkeln.
Elena versetzte ihm einen Hieb gegen das Knie. »Sam’bi hat sich den Arm gebrochen.«
»Das hat er verdient. Niemand stößt meine kleine Schwester in den Schlamm!«
Plötzlich erinnerte sich Elena an diesen Tag vor zwei Jahren. Sie hatte das geblümte Kleid getragen, das Tante Fila ihr zum Mittsommernachtsfest geschenkt hatte. Es war von Schlamm durchtränkt gewesen. »Hast du das für mich getan?« fragte sie, und ihre Stimme war eine Mischung aus Entsetzen und Lachen.
»Wofür hat man denn große Brüder?«
Elena merkte, wie ihr schon wieder Tränen in die Augen stiegen.
Joach glitt vom Bett, beugte sich vor und umarmte sie. »Keine Angst, El. Wer immer dir diese Streiche spielt, ich finde es heraus. Niemand treibt mit meiner kleinen Schwester solchen Schabernack.«
Sie erwiderte Joachs Umarmung. »Danke«, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme.
Joach richtete sich auf und schlich zur Tür. Er wandte sich zu ihr um, bevor er aus dem Raum huschte. »Außerdem kann ich es nicht zulassen, dass dieser geheimnisvolle Possenreißer mich übertrifft. Ich habe einen Ruf aufrechtzuerhalten.«
4
Dismarum kniete im mondhellen Obsthain im feuchten Unkraut, eine bucklige Gestalt, krumm wie ein verfaulter Baumstumpf. Kein einziger Vogel zwitscherte in dieser Nacht, kein einziges Insekt summte. Dismarum lauschte, sowohl mit den Ohren als auch mit den inneren Sinnen. Die letzten Mol’grati hatten sich in den Erdboden gebohrt und waren dabei, sich zu dem fernen Hof vorzuarbeiten. Die Wunde mit den gezackten Rändern im Bauch des toten Rockenheim hatte mit dem Erkalten des Kadavers längst aufgehört, in der Nachtluft zu dampfen.
Dismarum drückte die Stirn gegen die kalte Erde und schickte seine Gedanken zu den wurmartigen Geschöpfen aus. Er empfing ihre Antwort wie den Gesang von tausend Kinderstimmen, einen Chor mit nur einer Botschaft:
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