Alasea 01 - Das Buch des Feuers
können, dass sich seine Füße nicht bewegt hatten. Dann verschränkte Merik die Arme vor der Brust und senkte das Kinn. Der Lichtschein, der von seinem Körper ausging, strahlte noch heller auf; aus den schweren Wolken hervorschießend, durchbohrte ein schlanker Blitzspeer die ausgreifende Klaue des Ungeheuers.
Donner spaltete die Luft.
Das Skal’tum schrie laut auf und riss den Arm zurück. Trotz der offensichtlichen Qualen des Monsters blieb die Klaue lebendiges Fleisch und verkohlte nicht. Dunkle Magik hatte es vor ernstem Schaden bewahrt. Das zweite Skal’tum behielt seine Stellung bei dem verängstigten Mädchen bei.
Ni’lahn wusste, dass sie eines der Skal’ten ablenken und Elena die Möglichkeit zum Weglaufen verschaffen musste. Die Hexe durfte auf keinen Fall sterben! Die Wiedergeburt von Lok’ai’hera hing von diesem Kind ab. Ni’lahn erinnerte sich an die Prophezeiung ihrer sterbenden Stammesältesten: Grünes Leben sprießt aus rotem Feuer - einem aus Magik geborenen Feuer. Ni’lahn betrachtete das zitternde Mädchen. Nein, es durfte nicht sterben!
Ni’lahns nackte Zehen gruben sich in die Erde bis zu den Wurzeln der Ulme. Sie hatte den Geist des Baumes schon vorher zu sich gerufen. Alles war vorbereitet. Sie senkte die Augenlider ein wenig, sang den alten Wald an und zog seine Kraft zu sich heran.
Während ihre Seele sang, vereinte sich ihr Lied mit anderen Seelen, und ihr Geist ging darin auf.
Sie wurde die Ulme. Sie wurde der Wald.
Die Hexe musste frei sein.
Sie streckte die Arme zu dem verletzten Skal’tum aus. Die Ulme über ihr ahmte diese Bewegung nach und packte das Skal’tum mit dicken Baumarmen, die seit Jahrhunderten von Schnee und Wind gehärtet worden waren.
Das Skal’tum zappelte, und Ni’lahn hielt die Luft an, als sie seine Kraft erkannte. Sie schlug auf das Monster ein und versuchte, es von Elena wegzuziehen, doch seine Klauen gruben sich tief in den Schlamm und das Gestein. Es wich nicht eine Handbreit von der Stelle.
Ni’lahn ihrerseits bohrte die Zehen tiefer in die Erde. Schweiß perlte auf ihrer Stirn; in ihrer Kehle brannte ein lautloses Lied. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass dies alles so anstrengend würde, aber sie hatte auch noch nie versucht, so viel Macht heraufzubeschwören. Die Elementarmagik, die in ihrem Blut floss, war ein Teil von ihr. Sie jetzt zu benutzen bedeutete, einen Teil von sich selbst zu verbrennen, vergleichbar mit einem Holzstamm, der Brennstoff für ein Feuer wird. Sie atmete heftig, während sie sich bemühte, das üble Geschöpf festzuhalten.
Sie wusste, dass sie es nicht allein schaffen würde. Ihr Blick fiel auf Merik. Der Lichtschein um seinen Körper war wiedergekehrt, nachdem die Blitze herabgeschossen waren. Ein Verbündeter stand bereit. Seine Blitze allein konnten dem Ungeheuer nicht viel anhaben, und ihre ausgreifenden Zweige schreckten es ebenfalls nicht. Aber vielleicht konnten beide gemeinsam etwas bewirken! Bei dem Gedanken biss sie sich auf die Unterlippe. Elv’en und Nyphai hatten noch nie ihren Geist vereint, seit das Land jung war. Würde es ihnen nun gelingen, den Spalt zwischen ihnen zu überbrücken?
Merik schwankte, als er sich dem Skal’tum näherte. Der Elv’e war anscheinend entschlossen, sein Leben für das Kind hinzugeben. Ni’lahn hatte Mühe, den Edelmut, der hier an den Tag gelegt wurde, mit dem schwelenden Scheit des Hasses in ihrem Herzen in Einklang zu bringen. Konnte sie ihm vertrauen?
Das Skal’tum wand sich in ihrem Griff, und sie spürte das Brechen der Ulmenzweige. Ein Schmerz durchschoss sie. Sie rutschte auf ein Knie. Meriks Blick wandte sich ihr zu; sein Gesicht wirkte verzerrt vor Anstrengung.
Er kniff die Augen zusammen, und sie wusste, dass in seiner Seele dieselbe Furcht tobte wie in der ihren.
Doch es wurde Zeit, eine Erblast über Bord zu werfen und eine neue Allianz zu bilden.
Sie gab Merik mit den Augen ein Zeichen; er nickte kaum merklich.
Ein weiterer Blitz von oben traf das Ungeheuer. Es krümmte sich, blieb jedoch weiterhin unversehrt, während es voller Qual um sich schlug und sich teilweise aus dem Griff der Ulme befreite.
Doch Meriks Schlag verschaffte Ni’lahn die Zeit, die sie brauchte, um ihr Lied zu ändern. Sie griff mit den Fingern zum Himmel. Wurzeln hoben sich aus der Erde und umschlangen die Beine des Ungeheuers, wickelten sich fest darum und gruben sich in das schauerliche Fleisch. Ni’lahn versuchte mit aller Kraft, das Skal’tum vom Boden
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