Alasea 02 - Das Buch des Sturms
wurden und ihr Blut sich über die Steine ergoss.
Siehe, mahnten der Gesang und die Bilder eindringlich, selbst der stärkste Stein kann sich der Finsternis nicht widersetzen. Widerstand verlängert nur das Leiden.
Unfähig, den gebannten Blick von dem Rattendämon abzuwenden, war Kral gezwungen zuzuhören. Doch knirschte er mit den Zähnen. Zuzuhören bedeutete nicht zu glauben.
Er war kein Turm. Er war ein Berg!
Kral kroch rückwärts über den Boden, während glühende Asche ihm die Haut verbrannte und den Bart versengte. Die Ratte folgte ihm oben auf dem Balken, ohne Kral dem Blick ihrer roten Augen entkommen zu lassen.
Ein Sieg ist ausgeschlossen, sangen ihm die Sterbenden längst vergangener Zeiten ins Ohr.
Weitere Ratten gesellten sich zu der einen. Kral war jetzt von ihnen umzingelt.
Warum fliehen? Leg dich einfach nieder. Die Hoffnung auf ein Entkommen ist nur ein grausamer Traum.
Kral biss sich auf die Zunge, damit er durch den Schmerz konzentriert blieb. Nein! Die Stute war doch auch entkommen!
Indem er den Rest seiner verebbenden Kraft aufbot, griff er zu einer letzten Waffe. Er richtete sich auf den Knien auf und stieß einen lauten Pfiff aus. Dann fiel er auf die Hände, zurück in den Staub.
Die Ratten drängten sich näher an ihn heran.
War es zu spät?
Plötzlich ertönte das laute Krachen brechender Balken hinter ihm. Kral, gefangen in schwarzer Magik, war unfähig, sich umzudrehen. Funken und brennende Scheite wirbelten um ihn herum, während ein großes Etwas vom Hof hereinstürmte. Es war Rorschaff, sein Schlachtross. Es galoppierte heran, und sein riesiger schwarzer Körper schob sich zwischen Kral und den Rattendämon und durchtrennte somit die Verbindung ihrer Blicke. Durch die unvermittelte Lösung des Banns drehte sich alles vor Krals Augen. Rings um ihn war ein Wirbel aus Flammen, Hufen und Dunkelheit.
Kral bemühte sich, zu Sinnen zu kommen. Er spürte, wie sich Zähne in seine rechte Hand gruben. Knochen brachen, Fleisch wurde zerfetzt. Der Schmerz klärte seine Sicht. Er sah eine große Ratte, die sich an seiner Hand zu schaffen machte. Mit einem heftigen Armschwung schleuderte er sie weg. Die Ratte flog ein Stück weit, einen von Krals Fingern noch zwischen den scharfen Zähnen.
Schmerz tobte in seiner Hand, doch Kral wurde zum Fels und ließ den Schmerz von sich abprallen. Er hob die blutige Hand, griff nach Rorschaffs dickem Schwanz und verwickelte die Finger in das grobe schwarze Haar. »Ror’ami nom, Rorschaff!« brüllte er in der Sprache der Bergpferde.
Rorschaff bäumte sich auf und zerquetschte zwei weitere Ratten unter seinen Hufen, dann machte er einen Satz nach vorn, wobei er Kral hinter sich herzog.
Kral bemühte sich mit aller Kraft, den Halt an dem Schwanz des Pferdes nicht zu verlieren, während er über den Boden des Lagerhauses gezerrt wurde. Holzsplitter bohrten sich in seine Seite. Er hielt die Augen geschlossen. Er konnte sich die lähmende Schwäche nicht leisten, die mit dem abscheulichen Blick der Ratten einherging.
Erst als er die Pflastersteine des Marktplatzes an seiner Hüfte spürte und hörte, wie seine Axtklinge auf Stein klirrte, öffnete er die Augen wieder. Er ließ sich noch ein Stück weiter ziehen, dann löste er den Griff, zu erschöpft, um sich noch länger an dem Pferdeschweif festzuhalten.
Er stürzte auf die Straße und rollte ein paar Umdrehungen weiter, bis er zum Stillstand kam.
»Kral!«
Der Gebirgler öffnete die Augen und sah Er’ril, der sich über ihn beugte. Elena stand neben ihm und hielt ihre graue Stute am Zügel. Mikela hielt in jeder Hand ein Schwert, ihre Augen leuchteten in dem sich ausbreitenden Feuer des Lagerschuppens. Hinter den dreien drängten sich andere Leute aus der Stadt heran. Die Nachricht von dem Feuer hatte sich schnell durch die neblige Nacht verbreitet. Irgendwo läutete eine Glocke.
»Was ist geschehen?« fragte Er’ril. »Mogwied kam angerannt. Sagte irgendetwas von Ratten …«
Kral versuchte, seine Zunge zu lösen, hob die übel zugerichtete Hand. »Keine Ratten«, murmelte er, bevor er das Bewusstsein verlor. »Dämonen.«
Unter dem Turm des Rash’amon hockte Meister Torring und beugte sich über die Kugel aus Schwarzstein, die er in den runzeligen Händen wiegte; seine breite, flache Nase berührte beinahe die glänzende Oberfläche. Der Zwergenherrscher blickte in der düsteren Kammer mit großen Augen tief in die schwarze Kugel. Bilder von Feuer und schattenhaften Gestalten
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