Alasea 02 - Das Buch des Sturms
blutig in Fesseln an der Wand. Die Augen des Elv’en wandten sich nicht einmal in Krals Richtung; sie waren starr auf das Spiel der Mächte in der Mitte des Raums gerichtet. Und Krals Aufmerksamkeit war auch sofort davon in Bann gezogen.
Halb versunken im Schlamm, stand da der Zwerg aus seinen Träumen, ein runzeliges, madenblasses Geschöpf. Eiszapfen hingen an den Falten seines Körpers, und seine Füße waren in gefrorenem Schlamm gefangen. Seine Arme waren flehentlich über den Kopf erhoben - doch nicht zu den Göttern im Himmel, sondern zu einer tintenschwarzen Steinkugel, die über seinen ausgestreckten Händen schwebte. Flammen der Dunkelheit knisterten an der Oberfläche der Kugel.
Kral stand wie erstarrt da, unfähig, sich zu bewegen, und betrachtete die Szene, als ob auch er im Eis gefangen wäre. Allein der Anblick dieses seelenlosen Bösen lähmte seinen Körper. Hätte er die Glieder bewegen können, wäre er geflohen, doch unfähig, auch nur zu atmen, stand er mit halb erhobener Axt da.
Es war, als ob eine schwarze Sonne aus irgendeiner Niederwelt aufgestiegen wäre.
Während er noch so starrte, begann diese Sonne unterzugehen; sie senkte sich zu den erhobenen Händen des Zwergs hin. Schwarze Flammen loderten nicht mehr ganz so hoch, züngelten über die Haut des Zwergs. Kral sah, wie sich das Gesicht des Zwergs vor Angst und Todespein verzerrte. Dann schwoll die Kugel an, gespeist von Dunkelheit, und senkte sich auf den Zwerg herab, bis sie die blasse Gestalt ganz verschluckt hatte.
Kral wusste, diese Dunkelheit barg nicht nur Magik in sich, sondern etwas so Übles, dass sich der Geist des Gebirglers schon gegen dessen Schatten auflehnte. Wäre er fähig gewesen, die Augen zu schließen, dann hätte er es getan.
Die Dunkelheit wirbelte und verdichtete sich um den Zwerg herum, schien in sein runzeliges Fleisch einzudringen. Nach wenigen Herzschlägen hatte sich die Schwärze vollkommen in die krötengleiche Gestalt gebohrt und nur ein paar Funken von Dunkelfeuer zurückgelassen, die um die grausige Haut herum tanzten. Die Kugel war verschwunden, und an ihrer Stelle stand nun dieselbe gedrungene Zwergengestalt, doch nicht mehr von blassem Fleisch, sondern so schwarz wie die dunkelste Mitternacht, eine schattenhafte Statue, geschaffen von einer lasterhaften Hand.
Kral wusste, dass der Zwerg nicht mehr aus Fleisch und Blut war, sondern aus demselben abscheulichen Stein, aus dem die Schale bestand, die Mogwied Vira’ni gestohlen hatte. Der Name, den die Burgherren dafür verwendet hatten, fiel ihm wieder ein.
Krals Lippen formten das Wort: Schwarzstein.
Als ob das lautlose Wort gehört worden wäre, klappten die Augen des Zwergs auf. In ihnen tobte rot ein inneres Feuer. Lippen aus Stein öffneten sich, um gelbe Zähne zu entblößen. »Wie liebenswürdig von dir, dich zu uns zu gesellen«, flüsterte eine Stimme aus der Kehle der Statue. Wieder floss Stein, und ein Arm winkte. »Komm zu deinem Freund.«
Kral fielen die wenigen Worte ein, die er mit dem Zwergenherrscher auf dem Traumturm gewechselt hatte. Er wusste, dass das Geschöpf, das durch die Steinkehle sprach, nicht derselbe Zwerg war. Etwas hatte sich mit diesem Wesen vermischt, so wie sich der Stein mit dem Fleisch des Zwergs vermischt hatte.
Kral hob die Axt, und als er sprach, merkte er, dass seine Stimme bebte. »Wer … wer bist du?«
Jetzt endlich schien Merik die Anwesenheit des Gebirglers wahrzunehmen. »Fliehe, Kral! Du kannst gegen dieses … diese Kreatur nichts ausrichten!«
Doch die Stimme des Elv’en setzte etwas in Krals Innerem frei. Sein Herz, das bis jetzt schwach vor Angst gewesen war, verhärtete sich plötzlich zu Stein. Seine Faust umklammerte den Schaft der Axt so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Ein Zwerg, schwarz oder nicht, war immer noch ein Zwerg - und konnte sicher wie ein solcher sterben!
Ohne Warnung stürzte sich Kral auf das üble Geschöpf. Er schwang die Axt in einem tödlichen Bogen. Der Zwerg konnte nicht einmal einen Steinarm heben, um diesen Hieb abzuwehren. Mulf war ein guter Lehrmeister gewesen, und Kral wusste, wo er zuschlagen musste.
Mit aller Kraft seiner Schulter und seines Rückens hieb Kral die Axt in den Hals des Zwergs. Die Wucht des Aufpralls fuhr ihm in den Arm und machte ihn taub; dem Gebirgler entfuhr ein erstauntes Ächzen. Er rollte sich zur Seite und drehte die Axt, um zu einem zweiten Schlag auszuholen.
Der Zwerg stand immer noch an derselben Stelle wie zuvor.
Weitere Kostenlose Bücher