Alasea 02 - Das Buch des Sturms
vertrauen.«
Joachs Beine zitterten bei der Berührung des Bruders. Es war lange her, dass ihm jemand Freundlichkeit gezeigt hatte.
Moris kam näher an sein Gesicht heran. »Schaffst du den Weg die Treppe hinunter? Ich finde, diese Geschichte müssen auch meine Brüder erfahren.«
Joach nickte.
»Du hältst viel aus, mein Junge«, sagte Moris und umfasste seine Schulter fester. »So manch tapferer Mann wäre unter all der Drangsal, die du erlitten hast, zusammengebrochen. Du kannst stolz auf dich sein.«
Joach schniefte die Tränen zurück und straffte die Schultern. »Ich habe es für meine Schwester getan.«
»Aha«, sagte Bruder Moris mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. »Und wo ist sie jetzt? Ist sie immer noch zu Hause, in Winterstadt?«
»Winterberg«, berichtigte Joach. Er hatte Elena in seiner Geschichte nur beiläufig erwähnt. Da er sich zu ihrem Schutz verpflichtet fühlte, zögerte er, die wirkliche Rolle preiszugeben, die sie spielte. Deshalb hatte er die Stellen der Geschichte, die sich mit Hexen und Blutmagik beschäftigten, nur flüchtig gestreift. Aber war das eine kluge Entscheidung? Hier war jemand, dem er vertrauen konnte, und wenn Elena unterwegs nach A’loatal war, dann brauchte auch sie Verbündete.
»Wenn wir können, bringen wir dich zu deiner Schwester zurück«, sagte Moris, wobei er sich abwandte und die Treppe hinunterging.
Joach folgte ihm nicht. »Warte«, rief er. »Meine Schwester ist nicht mehr in Winterberg.«
Moris blieb stehen und drehte sich wieder um. Ein ungeduldiges Zucken zeigte sich auf seinen Wangen. »Wo ist sie dann?«
Joach senkte den Kopf, da er sich schämte, nun diesen Teil der Geschichte preisgegeben zu haben, den er zuvor ausgelassen hatte. »Sie kommt …«
Plötzlich schallte von weit unten ein dumpfer Singsang von großer Klangfülle herauf. Er drang durch die Steine hindurch und erschütterte Joach bis ins Mark. Es war ihm unmöglich, weiterzusprechen. Jede Faser seines Schädels, jeder Zahn schmerzten bei dem Dröhnen. Er hielt sich die Hände über die Ohren, aber das half nichts. Es war nicht so sehr ein Geräusch, das mit den Ohren wahrnehmbar war, sondern vielmehr ein Angriff auf den ganzen Körper.
Moris’ gerunzelter Stirn und dem geneigten Kopf nach zu urteilen, hörte der Bruder das Dröhnen ebenfalls.
Was war da los?, fragte sich Joach. Schließlich befreite die Angst seine Zunge. »Was ist das für ein Krach?« murmelte er, und seine Stimme klang schwach und heiser verglichen mit den vollen Tönen, die von unten heraufhallten.
Seine Stimme brach den Bann, der Moris ergriffen hatte. Der Bruder ruckte die Last unter seinem Arm höher und musterte ihn mit misstrauischen Augen. »Du hörst etwas?«
Der flüchtige Gedanke, dass der Mann vielleicht verrückt sein könnte, kam Joach. Sein ganzer Körper vibrierte bei jedem Ton wie eine angezupfte Saite. »Wie könnte ich das nicht hören? Es ist … es ist gewaltig. « Er wusste, dass es sich komisch anhören musste, dieses Wort zu gebrauchen, aber es eignete sich am besten zur Beschreibung seiner Empfindung.
Moris kam eine Stufe näher zu ihm. »Du hast es wirklich gehört!« sagte er erstaunt. Dann fügte er in besonnenerem Ton hinzu: »Na, und wenn schon.«
»Was soll das heißen?«
Anscheinend hatte Moris seine Frage gar nicht gehört. »Wir müssen uns beeilen. Das ist der Ruf.«
»Ich begreife nicht …«, begann Joach, während Moris sich schnell umdrehte.
»Nur ganz wenige Leute können diese Musik hören«, erklärte der Bruder, indes er wieder auf der Treppe voranging. Er behielt die schnelle Gangart bei. »Das ist das einzige Merkmal, das einen Ho’fro von der übrigen Bruderschaft unterscheidet.«
»Willst du damit sagen, dass kein anderer das hört?« fragte Joach, der Mühe hatte, einen zweifelnden Unterton aus seiner Stimme herauszuhalten. »Die ganze Burg muss doch bei diesem Krach beben!«
»Nein, nur jene vernehmen es, denen eine gewisse Elementarbegabung angeboren ist, eine aus dem Land erwachsene Magik.«
Joach dachte an die blutrote Hand seiner Schwester. »Aber ich höre es … es zerreißt mich beinahe …«
»Ja, die Magik in dir muss sehr stark sein. Ich würde gern eines Tages deinen Stammbaum erforschen, doch jetzt müssen wir erst einmal dem Ruf folgen.« Moris beschleunigte seine Schritte. »Wir müssen uns beeilen.«
»Du hast meine Frage noch nicht beantwortet«, beharrte Joach, während er ihm folgte und beinahe in einen schnellen Trab
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