Alasea 02 - Das Buch des Sturms
die Mauer aus Wasser, die sie umgab. In der Höhlenkammer herrschte ein eigenartiges Licht. Es ging von einem hellen Streifen aus, der den Boden der Kammer in zwei Hälften teilte. Es war die Silberader, die Cassa Dar beschrieben hatte. Die Elementarmagik in dem Silber schimmerte hell, doch der Glanz war dort am stärksten, wo der Streifen aus der hinteren Wand in die Kammer führte. In ihrer Nähe hingegen leuchtete das Silber nur als schwacher Schimmer. Dieser Abschnitt enthielt offenbar nur eine winzige Spur Magik.
Elena entdeckte die Stelle, wo der helle Streifen unvermittelt zu dieser schwachen Linie wurde. Auf halber Strecke war ein Teil des Silbers weggerissen worden. Der leblose Rumpf eines Zwergs lag neben dem zerstörten Abschnitt.
Der Junge zog Elena zu dem Bruch im Silber. »Schnell!« drängte er. »Hol den Try’sil!«
Elena spürte, dass die Worte des Jungen nicht mehr seine eigenen waren, sondern dass Cassa Dar direkt durch den Jungen sprach. Sie folgte ihm zu dem am Boden liegenden Körper. Es war nicht etwa eine Leiche, sondern eine Statue aus schwarzem Stein. Die gedrungene Gestalt mit den dicken Gliedmaßen war selbst in diesem Zustand zu erkennen: Es war ein Zwerg.
Der Kopf der Statue war allerdings beschädigt. Scherben aus schwarzem Stein lagen um die Schultern herum verstreut. Nur hier ragte heller weißer Knochen aus der Statue heraus, ein Schädel mit wulstiger Stirn.
»Mein Bruder«, erklärte der Junge. Trotz aller Panik war Cassa Dars Besorgnis deutlich hörbar. Das Sumpfkind deutete auf einen Gegenstand, der nicht weit vom beschädigten Kopf der Statue entfernt lag. »Der Try’sil.«
Elena kniete nieder und griff nach der Waffe. Der uralte Schatz der Zwerge war unverkennbar: der Hammer des Donners. Sein hölzerner Schaft, so lang wie Krals Axtgriff, war verziert mit Schneckenmustern und Runen und endete in einem Hammerkopf aus Schmiedeeisen, so groß wie zwei Og’er-Fäuste. Das Eisen schimmerte rot, als ob es mithilfe von Blut geschmiedet worden wäre.
Elena zögerte. Sie konnte diese schwere Waffe unmöglich mit einem Arm heben, und sie wagte nicht, die Hand des Jungen loszulassen. Also legten sich nur die Finger ihrer rechten Hand um den Schaft. Sie biss die Zähne zusammen und zog mit aller Kraft, fest entschlossen, die Waffe zu heben. Zu ihrem Erstaunen hob sich der Hammer bei ihrer Berührung, als ob er ein leichter Besen wäre.
Sie hielt ihn hoch, und ihre Augen leuchteten im silbernen Licht.
»Pass auf!« schrie der Junge plötzlich. »Hinter dir!«
Mit dem Hammer in der Hand drehte sich Elena blitzschnell um und sah ein Ungeheuer, das aus einer anderen Höhle in die Kammer stakste. Auf den ersten Blick dachte sie, die schwarze Zwergenstatue sei wieder zum Leben erwacht. Beleuchtet vom silbernen Licht der Erzader, schob sich die schwarze Gestalt in den Raum. Elenas entsetzte Augen waren starr auf das hässliche Wesen gerichtet. Sie erinnerte sich, dass Cassa Dar von etwas Abscheulichem gesprochen hatte, das dem Verlies von Schattenbach entkommen war und sie verfolgte. Instinktiv wusste Elena, dass sich hier der dunkle Jäger näherte.
»Einer von den Schwarzwächtern«, stöhnte der Junge. »Wie kommt der hierher?«
Als das Ungeheuer noch näher kam, erkannte Elena trotz der Verzerrung durch das Wasser die vertraute Gestalt. Es war ein in Stein gefangener Zwerg, genau wie Cassa Dars Bruder. Er grinste und entblößte dabei die gelben Zähne, die sich gegen die schwarzen Lippen abhoben. Während er weiter heranstakste, sprach er mit verfremdet klingender Stimme. Die Worte waren jedoch verständlich. »Wo ist die Hexe?« fragte er.
Elena wich mit dem Jungen zurück, doch der Zwerg stand zwischen ihnen und dem einzigen Ausgang. Die Hand des Jungen zitterte in der ihren. Die Luftblase dehnte sich weiter um sie herum aus, bis hin zu dem Geschöpf.
»W … was machst du da?« fragte sie den Jungen.
Die Haut des Sumpfkindes leuchtete jetzt heller, wurde durchscheinender. Elena konnte beinahe das Gewirr von Adern und Moos in seinem Inneren sehen. Welche Magik auch immer hier im Spiel sein mochte, sie stellte die illusionäre Erscheinung des Jungen auf eine harte Probe. Er röchelte, als er sprach, und Tränen rannen ihm über die Wangen. »Ich versuche, dir Bewegungsfreiraum zu schaffen.«
»Warum?«
»Du musst gegen den Schwarzwächter kämpfen«, erwiderte er. »Benutze den Try’sil.«
Elenas Atem gefror ihr in der Brust. Das Geschöpf hatte bestimmt das Dreifache
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