Alasea 02 - Das Buch des Sturms
Feuer geflohen, um dem Kuss der Skorpione zu entkommen. Als die Flammen seine Kochen verkohlten, stieg ein dichter, fettiger Rauch zum nächtlichen Himmel auf, und der Geruch von brennendem Fleisch verunreinigte die kühle Brise.
Vira’ni betrachtete stirnrunzelnd die brennende Gestalt. Sie strich sich das lange schwarze Haar aus dem Gesicht, wandte sich von dem Anblick ab und machte sich auf den Weg zum Rand des Lagers, wo die Gefangenen an die Pfähle gefesselt waren. Die Skorpione kannten ihre Wünsche und hatten die fünf Schlächter ihrer Kinder ungeschoren gelassen. Sie würde sich persönlich um die Mörder kümmern. Während sich Vira’ni zwischen den eng beieinander stehenden Zelten hindurchschlängelte, schluchzte das Kind in ihren Armen immer noch. »Pschscht, mein Kleines«, flüsterte sie, dann setzte sie das Kind am Boden ab.
Von Angst und Schrecken gepeinigt, hockte das kleine Mädchen im Dreck, weinend vor- und zurückschaukelnd. Vira’ni machte einen Schritt über die Kleine hinweg. »Also wirklich, es gibt überhaupt keinen Grund, warum du immer noch weinst«, sagte sie im Weggehen. »Warum spielst du nicht ein bisschen mit meinem Baby? Ihr beide habt bestimmt viel Spaß miteinander.«
Vira’ni wusste, dass ihr eigenes Kind ihr dicht auf den Fersen folgte; seine geschuppten Beine scharrten und kratzten über den Boden. Während sie weiterging, hörte Vira’ni, wie das schluchzende kleine Mädchen hinter ihr einmal laut aufschrie; dann herrschte nur noch Stille. Vira’ni lächelte. Jedes Kind brauchte einen Spielkameraden.
Jetzt kam sie in Sichtweite der fünf Pfähle.
Vira’ni blieb hinter einem niedrigen Zelt stehen und betrachtete sie. Vier Männer und eine Frau, stellte sie fest. Allesamt Mörder! Das Wohlgefühl, das sie empfunden hatte, nachdem sie ein so herrliches Kind geboren hatte, verhärtete sich bei ihrem Anblick zu einem festen Knoten in ihren Eingeweiden. Sie stakste ins Freie, ohne sich ihrer Nacktheit zu schämen. Warum sollte sie diejenige sein, die sich schämte? Ihre Schultern bebten vor kaum gebändigtem Zorn. Sie schritt über die schwarz verfärbten Leichen der beiden Wachtposten und trat mit dem Fuß einen zu Boden gefallenen Speer beiseite.
Ihr Baby, das jetzt fertig war mit Spielen, kam angerannt. Es peitschte mit den Flügeln die Luft und versuchte, Höhe zu gewinnen. Bin schon wieder hungrig, gab es ihr mit einem vorwurfsvollen Wimmer zu verstehen. Vira’ni seufzte. Für eine Mutter gab es immer etwas zu tun.
Vor ihr erstarrte die weibliche Gefangene sichtlich beim Anblick von Vira’nis Baby. Wenigstens besaß diese zierliche Frau genügend guten Geschmack, um die erstaunliche Schönheit des Kindes zu erkennen. Ein erneuter Anflug von Stolz erfüllte Vira’nis Herz. Vielleicht würde Vira’ni der Frau sogar gestatten, ihr Baby zu nähren, bevor sie sie umbrachte.
Der eine der Männer, der Einarmige, brachte den Mut auf zu sprechen. »Süße Mutter! Das kann doch nicht wahr sein!«
Vira’ni sah den Mann mit strengem Blick an.
»Bist du das, Vira’ni?« fragte er fassungslos.
Vor Überraschung blieb Vira’ni wie angewurzelt stehen. Selbst die hungrigen Schreie ihres Kindes klangen nur noch dumpf in ihren Ohren. Sie sah den gefesselten Mann an, den sie jetzt erst richtig wahrnahm: schwarzes Haar, eine rötliche Gesichtsfarbe … und diese Augen! Diese durchdringenden Augen von der Farbe eines Gewitterhimmels! »Er’ril! Ich wusste es! Ich wusste, dass du nicht tot bist.«
Beide starrten einander schweigend an.
Dann räusperte sich der große Mann mit dem schwarzen Bart. »Er’ril, du … kennst du diese Frau?«
Er’ril nickte. Seine Worte raschelten wie trockene Blätter unter schweren Stiefeln. »Ja. Es ist lange her. Einst waren wir Liebende.«
8
Elena hörte Schreie aus dem nur noch etwa zwei Meilen entfernten Lager, die alsbald im Wind erstarben. Was ging da vor sich? Voller Angst und Sorge umklammerte sie die Zügel ihres Reittiers, während sie über die dunklen Wiesen weiterritt. Waren das die Schreie ihrer Freunde? Sie schüttelte den Kopf, um solche Gedanken zu vertreiben. Selbst über die Entfernung hinweg nahm Elena mehr Stimmen wahr, als ihre Reisegruppe Mitglieder zählte. Es war jedoch möglich, dass die Stimmen ihrer Gefährten ihren Teil zu jener schaurigen Nachtmusik beitrugen.
Doch dann herrschte Stille. Selbst die Laubfrösche und Grillen waren von den Schreien zum Verstummen gebracht worden, als ob die
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