Alasea 03 - Das Buch der Rache
einem Wolf als Rückhalt dem Heer der Dunklen Mächte gegenübertreten.«
»Vielleicht. Aber wenn wir gewinnen wollen, dann sind uns Zähne, die sich in die Flanken des Feindes graben können, höchst willkommen.«
Er’ril seufzte und kämmte sich das widerspenstige Haar mit den Fingern zurück. »Gut. Wir geben Saag wan und Kast bis zum Neumond Zeit. Aber ganz gleich, ob wir bis dahin von ihnen etwas gehört haben oder nicht, werden wir segeln.«
Flint nickte und erhob sich. Da die Angelegenheit nun beschlossen war, fischte er seine Pfeife aus der Tasche. »Genug geredet«, brummte er. »Mal sehen, ob ich nicht einen brennenden Wachsstock finde, um den Tag mit ein wenig Rauch zu begrüßen.«
»Aha, wieder ein Beweis für deine Weisheit«, meinte Er’ril. Eine gute Pfeife zu rauchen war der beste Weg, um diesem Tag, der so misslich angefangen hatte, eine Wende zu bescheren. Bereitwillig folgte er dem grauhaarigen Bruder.
Als sie die Küche erreichten, vernahm Er’ril durch das offene Fenster neben dem Herd eine vertraute ärgerliche Stimme. Die Schelte wurde begleitet von harten Schlägen, Stahl traf auf Stahl. Offenbar empfand die Schwertkämpferin Mikela die letzte Unterrichtsstunde mit ihrer Schülerin alles andere als zufrieden stellend.
Fast schien es, als hätten alle keinen guten Start in den Tag gehabt.
Mikela schmetterte Elenas Kurzschwert zur Seite. Dann, nur durch eine kleine Bewegung aus dem Handgelenk, katapultierte sie die Klinge der Schülerin in hohem Bogen durch die Luft. Benommen beobachtete Elena, wie die Waffe sich einige Male überschlug und schließlich im Gras landete. Das Ganze geschah so rasch, dass Elena noch immer die Hand in die Luft reckte, als schon alles vorbei war. Langsam nahm sie den Arm herunter, ihre Wangen waren gerötet.
Die Schwertkämpferin hatte für ihre Schülerin nur ein kummervolles Kopfschütteln übrig, die Fäuste in die Hüften gestemmt. Mikela war so groß wie ein Mann und hatte ebenso breite Schultern. Ihr strohblondes Haar reichte ihr auch zum Zopf geflochten noch bis zur Hüfte. Gekleidet in Leder und Stahl, bot die Kämpferin einen beeindruckenden Anblick. »Heb dein Schwert auf, Kind.«
»Entschuldige, Tante Mi«, sagte Elena kleinlaut. Mikela war nicht wirklich blutsverwandt mit Elena, aber die Frau spielte im Leben des Mädchens eine ebenso große Rolle wie eine echte Verwandte. Ihre Vorfahren reichten zurück bis zu den Gestaltwandlern der Westlichen Marken, den Si’lura. Aber Mikela hatte ihrem Geburtsrecht schon lange entsagt. Schicksal und Umstände hatten sie davon überzeugt, sich in menschlicher Gestalt ›niederzulassen‹ und die Fähigkeit, die Gestalt zu wechseln, für immer aufzugeben.
»Wo bist du heute Morgen nur mit deinen Gedanken, Mädchen?«
Elena eilte zu der abhanden gekommenen Klinge und griff nach dem Heft. Sie kannte die Antwort auf die ärgerlich gestellte Frage der Tante. Ihre Gedanken weilten immer noch bei Joachs Worten und nicht beim Tanz der Klingen. Sie ging wieder in Stellung und hielt das Schwert kampfbereit.
»Wir versuchen noch einmal die Vogelscheuchenfinte. Das ist eine ganz einfache Bewegung, die, wenn man sie einmal beherrscht, zu den wirkungsvollsten Techniken gehört, um den Gegner aus seiner Deckung zu locken.«
Mit einem Nicken versuchte Elena die nagenden Zweifel zurückzudrängen, die Joach in ihr wachgerufen hatte, aber es gelang ihr nicht. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Er’ril sie jemals betrügen würde. Der Präriemann vom Stamme der Standi war stets zuverlässig gewesen, sowohl was seine Loyalität zu Elena als auch was ihre gemeinsame Suche anbelangte. Sie hatten so manchen langen Nachmittag damit verbracht, ihre Köpfe in Bücher zu stecken, damit Elena die ersten Handgriffe zur Lenkung ihrer Macht erlernte. Aber es existierte eine noch viel tiefere, unausgesprochene Bindung zwischen ihnen, die weit über Worte oder Unterrichtsstunden hinausging. Wenn Elena wieder einmal einen neuen Aspekt ihrer geheimnisvollen Künste entdeckte, kam es vor, dass sie die Spur eines stolzen Lächelns auf dem sonst so finsteren Gesicht des Gefährten ausmachen konnte. Auch erspähte sie gelegentlich ein amüsiertes Funkeln in seinen grauen Augen, selbst wenn seine Lippen sich wegen eines Fehlers missbilligend verzogen. Obwohl er ein komplizierter Mensch war, glaubte Elena, sein Herz zu kennen. Er war ein wahrer Ritter, sowohl im Geiste als auch mit Worten. Er würde sie niemals verraten.
Plötzlich
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