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Alasea 03 - Das Buch der Rache

Alasea 03 - Das Buch der Rache

Titel: Alasea 03 - Das Buch der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Clemens
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sondern es nach Hause zurückzuführen. Unsere beiden Völker müssen wieder vereint werden.«
    Kast fiel das Atmen plötzlich schwer. »Was sagt Ihr da?«
    »Ich will damit sagen, Kast, dass du ein Mer’ai bist.«
    Pinorr di’Ra, der alte Schamane auf der Drachensporn, stand am Bugspriet und starrte hinaus aufs weite Meer. Die Morgenbrise zauste sein langes, weißes Haar. Er strich sich die losen Strähnen aus den Augen. Früher, als sein Haar noch schwarz war, hatte er es zu einem Kriegerzopf gebunden getragen, aber das war lange her, noch bevor die Rajor Maga über ihn gekommen war. Die Meeresgötter hatten das Schwert von ihm gefordert, und er hatte seinen Zopf lösen und das Gewand des Schamanen überstreifen müssen. Es war ein Tag der Schande, aber auch der Ehre gewesen. Pinorr presste die Lippen aufeinander, während er daran dachte. Hoffentlich musste er niemals wieder so einen Tag erleben.
    Pinorr seufzte und studierte die endlosen Wellen. An diesem Morgen war er aufgewacht, weil das Meer nach ihm gerufen hatte. Es zitierte ihn zu sich, indem es ihm einen quälenden Schmerz im Schädel verursachte. Nach all den Jahren war ihm dieser Ruf bestens vertraut. »Was verlangst du von mir?« murmelte er dem Wasser zu. »Kannst du einen alten Mann nicht in seinem warmen Bett und bei seinen Träumen von der Vergangenheit lassen?« Die Antwort darauf kannte er bereits. Dem Ruf des Meeres konnte sich niemand widersetzen.
    Er schloss die Augen und schickte seine Sinne aus. Er schob die salzigen Gerüche fort von seiner Nase und beachtete die sanfte Brise nicht, die über seine glatt rasierten Wangen strich. Er suchte nicht in sich, sondern griff nach dem Horizont und fand schließlich etwas: eine Spur von einem Blitz in der Luft, ein fernes Heulen des Windes. Er wusste diese Vorzeichen zu deuten. Ein heftiger Sturm braute sich zusammen und zog von Süden heran.
    Pinorr runzelte die Stirn und öffnete die Augen. Obwohl der Tag jetzt noch klar und der Himmel blau war, würde mit Einbruch der Nacht die See tosen und der Wind heulen. Die Stürme aus dem Süden waren die ärgsten. Sie peitschten die mit Regen beladenen Wolken aus den Tropen voran, sodass sie sich über den Schiffen in den Untiefen entladen konnten. Mit grollendem Donner in den Ohren starrte Pinorr auf die Stelle, wo der Ozean gegen den Himmel stieß. Was sich da über dem Horizont zusammenbraute, schien einer der schlimmsten Südstürme zu werden, die er je erlebt hatte ein echter Schiffsmörder.
    Schlechte Neuigkeiten für die Flotte.
    Pinorr spuckte ins Meer und fügte so sein eigenes Wasser und Salz dem Ozean hinzu, als Dank an die Götter da unten für die Warnung.
    »Papa«, sagte eine Piepsstimme an seinen Knien, »sie kommen.«
    Pinorr starrte weiter hinaus aufs Meer. Das Kind, das zu seinen Füßen saß, war nicht sein eigenes, sondern die Tochter seines ältesten Sohnes, dessen Geist schon zu den Wellen zurückgekehrt war, noch bevor das Kind geboren wurde. Und da die Mutter noch im Kindbett gestorben war, kannte die Kleine keinen anderen Vormund als ihn. Anfangs hatte Pinorr seiner Enkelin Scheschon zu erklären versucht, dass er nicht ihr ›Papa‹ war, aber das arme Kind war von schwachem Verstand und konnte ihn nicht verstehen. Schließlich hatte er es aufgegeben.
    »Scheschon, wer kommt?« fragte er sanft und ging damit auf den Wahn des Kindes ein. Er kniete sich neben sie. Scheschon zählte schon zehn Winter, aber sie hatte noch immer die weit aufgerissenen Augen eines Kleinkindes. Als ihre Mutter in den Armen der Hebamme gestorben war, musste das Kind aus dem erkaltenden Bauch herausgeschnitten werden. Unglücklicherweise waren die Heiler nicht schnell genug gewesen. Der Tod hatte das Kind bereits berührt und ihren Verstand beschädigt.
    Pinorr wischte mit dem Ärmel seines Umhangs den Speichel vom Kinn des Mädchens und strich ihr das lange schwarze Haar zurück. Ihr Gesicht wirkte zwar unschuldig, doch niemandem würde es je einfallen, sie als hübsch zu bezeichnen. Das Lid des einen Auges hing schlaff herunter, und die Lippen derselben Gesichtshälfte konnte sie nur teilweise gebrauchen. Es sah aus, als wäre ein Teil des Gesichts geschmolzen und heruntergelaufen. Er berührte ihre Wange. Wer wird auf dich aufpassen, wenn ich einmal nicht mehr bin?, fragte er sich traurig.
    Scheschon beachtete seine Frage und Berührung nicht. Sie konzentrierte sich ganz auf das Stück Fischbein zwischen ihren winzigen Fingern, das sie mit einem

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