Alasea 03 - Das Buch der Rache
aus Solidarität oder aus Sorge um die Leute von Alasea.«
Saag wan wandte sich ab und setzte den Marsch durch den engen Flur fort. »Meine Mutter bringt keinem Landbewohner Sympathie entgegen.«
Den Rest des Weges legten sie schweigend zurück. Kast wusste nicht, wie er diese Traurigkeit in Saag wan lindern sollte. Seitdem sie die Küste verlassen hatten, um die Blutreiter und ihre drachengeschmückten Kriegsschiffe zu suchen, war sie in eine tiefe Trübseligkeit verfallen, die sie nicht abschütteln konnte. Die Schuld für seine eigenen finsteren Gedanken konnte Kast auf die Umgebung schieben; fast ein Mond war vergangen, seitdem er das letzte Mal den Himmel gesehen hatte, und er sehnte sich mit jedem Tag, der verging, mehr und mehr danach. Saag wan hingegen war hier in ihrer Heimat. Die Zeit hier sollte sie eigentlich froh machen.
Während Kast der jungen Frau folgte, fuhr er mit seinem Blick die Kurven ihres nackten Rückens nach und die sanften Rundungen unter ihren wie angegossen sitzenden Hose aus Haifischhaut. Er hatte sich immer noch nicht richtig daran gewöhnt, dass er und das Mer’ai Mädchen durch uralte Bluteide miteinander verbunden waren. Seine Finger wanderten zu seiner Wange und befühlten die Tätowierung, die mit Magik und giftigen Farben getränkt war und vom Hals bis zum Ohr reichte: ein zusammengerollter Drache mit schwarzen Schuppen und roten Augen, der Seedrache Ragnar’k. Das war Saag wans wahrer Verbündeter. Der Drache, der sich unter Kasts Haut verbarg.
Der Blutreiter fühlte eine leichte Wärme auf seiner Haut, als seine Finger die Tätowierung berührten. Verschiedene Gefühle kämpften in seiner Brust gegeneinander. Ein Teil von ihm wütete gegen den Fluch, der ihm auferlegt war für immer sollte er halb Drache, halb Mensch bleiben. Aber der andere Teil wünschte sich nichts sehnlicher, als dass Saag wan ihm in die Augen blickte und seine Wange berührte, damit er noch einmal das Brennen und den Taumel spürte, den ihre Berührung auf seiner Haut auslöste, um noch einmal ganz und gar ihr Verbündeter zu sein. Doch handelte es sich hierbei um seinen eigenen Wunsch oder um einen Traum des Drachen Ragnar’k, der danach strebte, befreit zu werden?
Kast schüttelte den Kopf und folgte Saag wan. Ob nun mit Drache oder ohne, er war schließlich ein Mann. Und obwohl seine Gedanken wild durcheinander wirbelten, war ihm doch eines klar: Seit sie sich das erste Mal begegnet waren, geriet sein Blut jedes Mal in Wallung, wenn er sie sah. Das rührte nicht von alten Blutschulden oder Magik Bündnissen her. Es war, als würde sich ein Loch in seinem Herzen füllen, eine Leere, von der er bislang noch gar nicht gewusst hatte, dass es sie gab. Er spürte, dass Saag wan ihn auf gewisse Weise vervollkommnete und vor allem deswegen hegte er einen Groll gegen den Fluch. Kast wollte sie nicht mit dem Drachen teilen, der sich in ihm verbarg. Doch dies warf wiederum neue Fragen auf. Es beschäftigte ihn und hielt ihn nachts oft lange wach, wenn er eigentlich schlafen wollte. Mit wem war Saag wan wirklich verbündet? Mit Kast oder Ragnar’k? Befände sich der Drache nun nicht in ihm, würde sie Kast dann überhaupt anerkennen und ihn willkommen heißen?
Kast fühlte, dass sich Saag wan mit denselben Fragen das Gehirn zermarterte. Er hatte ihre Blicke von der Seite bemerkt, wenn sie geglaubt hatte, er würde nicht hinsehen. Er hatte bemerkt, wie ihre silbernen Augen ihn musterten. Auch die Verwirrung in ihrem Blick hatte er gesehen. Offenbar misstraute sie ihren Gefühlen. Wie viel von ihrem Verlangen nach ihm wurde von der Magik bewirkt? Und wie viel kam aus der Tiefe ihres Herzens?
Kast wünschte, er wüsste die Antworten darauf. Aber seit sie zusammen die Prüfungen auf der Insel A’loatal bestanden hatten, hatte Saag wan einen vorsichtigen Abstand zu ihm gehalten. Sie lehnte es ab, darüber zu reden. Sie war noch nicht bereit, diese Antworten zu suchen.
»Wir sind da«, sagte Saag wan mit einem Anflug von Angst in der Stimme. Sie war stehen geblieben und deutete auf das Ende des Ganges. »Der Ratssaal.«
Vor ihnen stand ein Mer’ai kerzengerade vor einer abgeschlossenen Verengung im Flur. Wie Saag wan trug auch er nur eine Hose aus Haifischhaut, sein geölter, glatter Oberkörper glänzte im schimmernden Licht, das von den Wänden leuchtete. Sein Haar, eine hellgrüne Mähne mit einem leichten Kupferstich, hing lose bis zur Hüfte hinunter. In der Hand trug er einen langen Speer aus
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