Alasea 03 - Das Buch der Rache
Geschichten der Mer’ai vorkommen.«
»Aber dieser hier kann auch in der Luft fliegen.« Sie hob die kunstvoll geschnitzte Figur hoch und ließ sie durch die Luft gleiten.
»Ich verstehe«, meinte Pinorr verständnisvoll. »Werden sie dich mitnehmen, damit ihr zusammen tolle Abenteuer erleben könnt?«
Sie hörte auf damit, den Drachen fliegen zu lassen, und starrte ihrem Großvater ins Gesicht. Sie wirkte entsetzt. »Aber nein, Papa, sie werden uns töten.« Dann ließ sie den Drachen erneut in die Luft steigen.
Pinorr setzte sich zurück und beobachtete das arme Kind seines Sohnes. Dann rieb er die Handflächen aneinander, als müsste er sich den Fischbeinstaub von der Haut wischen. Doch hauptsächlich wollte er die Kälte vertreiben, die ihn bei den Worten des Mädchens befallen hatte.
Es waren die Gedankengänge eines verwirrten Verstandes, sagte er zu sich selbst, als er aufstand. Aber in seinem Kopf hörte er das Brausen eines Sturmes, der über dem fernen Horizont wütete. Er blickte noch einmal hinaus auf das friedliche Meer, während in seinem Schädel Blitz und Donner dröhnten.
Er war sich jetzt ganz sicher.
Ob nun auf den Winden eines Sturms oder auf den Schwingen eines Drachen, das Schicksal eilte auf sie zu.
Saag wan starrte in Kasts benommenes Gesicht. Sie teilte sein Entsetzen. Wie konnte Kast ein Mer’ai sein? Der Hüne von einem Mann trat von dem Korallentisch zurück, als wollte er vor den Worten des Ältesten flüchten. Das Blut wich aus seinem Gesicht und ließ die Tätowierung des Drachen Ragnar’k aufleuchten wie schwarzes Feuer, das auf seinem Hals und den Wangen wütete.
»Was ist das für ein Unsinn, den Ihr da von Euch gebt?« murmelte Kast.
Saag wan drehte sich wieder dem Rat zu. Sicherlich machte Meister Edyll nur Witze auf Kosten des armen Mannes. Kast wies keines der Merkmale ihres Volkes auf er besaß weder Schwimmhäute zwischen den Fingern noch ein inneres Augenlid Und sein dunkler Teint passte so gar nicht zu den blassen, leuchtenden Zügen der Mer’ai.
Es waren genau diese Unterschiede, durch die sich Saag wan von Anfang an zu dem nachdenklichen Mann hingezogen gefühlt hatte. Sogar jetzt versetzte sein Anblick ihr Herz in Aufruhr. Das von Wind und Wetter gegerbte Gesicht, die rotbraune Haut und das Haar, das so schwarz war wie das Meer um Mitternacht, glichen dem Aussehen ihres Volkes so ganz und gar nicht. Er kam ihr vor wie eine Insel aus Granit im lauwarmen Meer.
Meister Edyll saß schweigend da. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, denn er wusste um ihre Verwirrung. Saag wans Mutter blieb starr wie eine Statue aus Stein neben ihm sitzen. Die anderen Ratsmitglieder tuschelten miteinander. Offenbar waren sie erzürnt über die Enthüllung des Ratsältesten.
Meisterin Rupeli, eine kleine, auffällige Frau, die ihre Wangen mit farbigem Puder schönte, fuhr auf dem Stuhl herum, um Meister Edyll drohend anzusehen. »Du sprichst zu freimütig über unsere Geheimnisse«, warnte sie den alten Mann. »Du magst der Vorsitzende des Rates sein, aber das gibt dir nicht das Recht, Mer’ai Geheimnisse an diesen… diesen… Fremdling zu verraten.«
»Er ist kein Fremdling«, erklärte Meister Edyll. »Er ist ein Mann des Meeres, so wie alle De’rendi. Und darüber hinaus, auch wenn du dir etwas anderes wünschst, ist er auch ein Mer’ai.«
Saag wan konnte nicht länger an sich halten. »Aber Kast ist so ganz anders als wir. Seht ihn doch an! Wie könnt ihr ihn einen Mer’ai nennen?« Saag wan fühlte, wie die Augen des Blutreiters in ihre Richtung schwenkten. Sein Blick verbrannte ihre Wangen. Sie hatte nicht beabsichtigt, die Worte so abschätzig klingen zu lassen, als wäre der Mann neben ihr unwürdig, als Mer’ai bezeichnet zu werden.
Als sie rasch einen entschuldigenden Blick in seine Richtung warf, bemerkte Saag wan den Schmerz in seinen Augen. Ihre unüberlegten Worte hatten ihn tief verletzt. Sie hätte es besser wissen müssen. In den vergangenen Tagen hatte sie deutlich gespürt, welche Gefühle ihr der Mann entgegenbrachte, Empfindungen, die sie nicht anzuerkennen wagte, bis sie sich über ihr eigenes Herz im Klaren war. Kast hatte während der ganzen Zeit auf ein Wort von ihr gehofft, auf ein Zeichen, dass sie seine Gefühle erwiderte. Und für seine Geduld und Freundlichkeit hatte sie ihn nun mit ihrer Verachtung belohnt.
Kast wandte sich steif an den Rat. »Saag wan hat Recht.« Er hob die Hände und spreizte die Finger auseinander, um das Fehlen der
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