Alasea 03 - Das Buch der Rache
wiederzufinden. Ihr fiel ein, dass er ja nichts sehen konnte im Wasser. Er besaß keine zweiten Lider, die das Brennen und Stechen des Salzwassers in den Augen verhinderten. Sie konnte sich die Panik vorstellen, die einen befiel, wenn man in diese kalte, dunkle Welt stürzte, in der ein Überleben vollkommen von anderen abhing.
Sie griff nach seiner Hand, und er beruhigte sich rasch. Er klammerte sich nicht an sie, sondern wartete, dass sie zu ihm kam; er vertraute ihren Fähigkeiten. Sein Oberkörper war nackt und seine Männlichkeit nur durch dünne Leinenunterwäsche bedeckt. Saag wan wagte es kaum, ihn anzusehen. Beim Anblick seiner starken Beine und der breiten Brust fiel es ihr schwer, nicht zu atmen.
Sie schwamm zu ihm und zog ihn an sich, den Blick keine Sekunde abgewandt. Sie musste ihre Beine um seine Hüfte schlingen, damit sie einigermaßen ruhig im Wasser lagen.
Sie berührte sein Kinn und drehte sein Gesicht so, dass sie die Drachentätowierung auf Hals und Wange sehen konnte. Er verkrampfte sich, weil er wusste, was nun kommen würde. Das Bild Ragnar’ks, eines zusammengerollten, schwarzen Drachen mit wilden, roten Augen, starrte die Mer’ai an. Sie glaubte sogar zu spüren, wie das gefangene Tier sie bedrängte, es freizulassen.
Sie war darauf gefasst und ließ Kasts Kinn los. Sein Gesicht blieb ihr zugewandt, aber die Augen waren blind vom Salzwasser. Eine Hand tastete nach ihrer Wange, ein Signal, dass auch er bereit war.
Noch einmal berührte sie ihn und zog ihm die Lufthülse aus dem Mund. Er wehrte sich nicht, vertraute ihr voll und ganz.
Sie warf den Halm zur Seite, zog den Blutreiter an sich und presste ihre Lippen auf die seinen. Er erschrak ein wenig unter ihrer Berührung, doch dann erwiderte er den Kuss. Hungrig schlangen sie die Arme umeinander und teilten ihren Atem.
Auf Wiedersehen, Kast, sagte die Mer’ai schweigend. Und zum ersten Mal erlaubte sie sich hinzuzufügen, was ihr Herz die ganze Zeit über gewusst hatte. Ich liebe dich.
Die Zeit schien stillzustehen doch während Herzen Versprechungen machen konnten, die ewig währten, war die Luft begrenzt. Bevor sie zu ertrinken drohten, berührte Saag wan Kasts Tätowierung.
Da geriet das Meer in Aufruhr, und sie sah nur noch Schuppen und Flügel. Lautes Gebrüll erfüllte ihre Ohren und Gedanken, als der Drache in Kast ausbrach. Noch bevor das Wasser wieder klar wurde, fand sich Saag wan auf dem Rücken der gewaltigen Kreatur wieder. Die Flügel des Drachen wirkten wie zwei Segel, sein Hals ragte weit in die blaue See.
Ragnar’k drehte sein Gesicht der Reiterin zu. Rubinrote Augen blitzten sie an, zwei Silberzähne glänzten im gebrochenen Licht. Cnag ivan, flüsterte der Drache ihr mit einem rauen Schnurren zu Meine Leibgefährtin. Saag wan wurde schier überwältigt von der Freude des Tieres über seine neu gewonnene Freiheit, aber unter dieser Begeisterung fühlte sie auch den Hunger des Drachen wie ein dunkles Loch.
Saag wan fuhr mit dem Finger über Ragnar’ks mächtigen Hals. Sie suchte die zarte Haut unter den Schuppen. Stille deinen Hunger, gab sie ihrem Reittier zu verstehen, wir haben noch einen langen Weg vor uns.
Sie griff unter die Schuppen und zog den Schnorchel hervor, durch den sie die Luft des Drachen atmen konnte. Sie atmete einmal ein und vertrieb damit die winzigen Lichtpunkte, die, hervorgerufen durch den Sauerstoffmangel, bereits vor ihren Augen getanzt hatten. Es tat gut, wieder zu atmen. Aber der Schmerz in ihrer Brust blieb. Und keine noch so große Menge an frischer Luft konnte das Gefühl des Verlustes aus ihrem Herzen vertreiben. Der Drache indes holte selbst noch einmal Luft, indem er kurz zu dem Leviathan zurückkehrte und den Hals in das Obligatum steckte. Dann wandte er sich erfrischt und mit vollen Lungen ab und begab sich auf die Jagd.
Saag wan schmiegte sich näher an den Drachen. Wo in diesem großen Tier mochte Kast wohl sein? An ihren Oberschenkeln fühlte sie den donnernden Herzschlag des Seedrachen. Sie stellte sich vor, es wäre das Herz des Blutreiters. Dann lehnte sie den Kopf an den Drachenhals und legte die Hand auf eine der pulsierenden Adern dort. Die Augenlider ließ sie halb geschlossen, während der Drache begeistert durch das Wasser raste und nach Gelbflossen und anderen Fischen schnappte. Der Freudentaumel des Drachen verschmolz mit Saag wans Erinnerung an die Lippen des Blutreiters auf ihrer Haut.
Sie flogen über Riffe, als wären es Gebirge. In der Ferne entdeckte
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