Alasea 03 - Das Buch der Rache
denn?«
Saag wan nickte zu dem Loch. »Meister Edyll hat Recht. Ich kann Ragnar’k hier drinnen nicht ins Leben zurückrufen. Der große Drache wird sich nicht durch das Loch quetschen können. Wir werden so, wie wir jetzt sind, hinausgehen und den Drachen draußen im Meer zum Leben erwecken.«
Kasts Augen wurden groß, aber er sagte kein Wort. Saag wan spürte genau, wie er darum kämpfte, Gelassenheit zu bewahren bei dem Gedanken daran, bald dem Drachen Platz machen zu müssen. Ihr zog sich das Herz zusammen.
Selbst Meister Edyll schien die Anspannung zu spüren. »Ich muss jetzt gehen. Die Ratsmitglieder werden misstrauisch werden, wenn ich mich noch mehr verspäte.«
Saag wan kam zu ihm und umarmte ihren Onkel noch einmal. »Danke«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
Er erwiderte ihre Umarmung. »Mögen die Wellen dich sicher tragen«, flüsterte er. Das war ein alter Abschiedsgruß der Mer’ai.
Meister Edyll verabschiedete sich noch von Kast und ging. Die Tür verriegelte er hinter sich.
Nun, da Saag wan und Kast allein waren, fühlten sie sich etwas unbehaglich. Es gab so viel zu sagen, so viel zuzugeben. Saag wan kam es vor, als schwömme der Leviathan in einer Tiefe von tausend Wegstunden unter dem Meer. Die Luft schien immer dicker zu werden, sie vermochte kaum noch zu atmen.
Das Mer’ai Mädchen starrte Kast an, konnte ihm jedoch nicht in die Augen sehen. Auch er vermied den direkten Blickkontakt. »Wir sollten gehen«, sagte er schließlich, doch seine Stimme kam über ein Krächzen nicht hinaus.
Saag wan nickte. »Ich steige zuerst hinunter und warte draußen auf dich.« Sie ging zu ihm und zeigte ihm ohne Worte, wie er die Spitze der Lufthülse abbrechen musste, um frische Luft daraus atmen zu können. Sie stand dicht bei ihm und machte eine Handbewegung, die seinen ganzen Körper einschloss. »Sobald ich draußen bin, solltest du dein Hemd und die Hosen ausziehen.«
Er nickte. Wenn der Drache ausbrach, würde alles, was er am Leib trug, in Fetzen gerissen werden. »Du solltest jetzt gehen«, sagte er.
Gerade als Saag wan die Arme ausstrecken wollte, um sich von ihm zu verabschieden, trat Kast zurück und zog sich das bauschige Hemd von den muskulösen Schultern. Saag wan erstarrte. Auch Kast blieb reglos stehen, das Hemd halb ausgezogen. Beide waren sofort peinlich berührt. Saag wan hatte Kast zwar schon nackt gesehen, aber berührt hatte sie ihn unbekleidet noch nicht.
Sie schlug die Augen nieder und wandte sich ab. »Ich… ich warte draußen vor dem Leviathan auf dich.«
»Ich… ich werde… gleich kommen.«
Sie stand am Rand des Schachtes und fühlte sich wie eine Närrin. Sie konnte sich nicht überwinden zu springen. Da schlangen sich zwei starke Arme plötzlich von hinten um ihre Taille. Sie erstarrte für eine Sekunde in der Umarmung, dann ließ sie sich in die Wärme des Körpers fallen. Kasts Lippen berührten die zarte Seite ihres Halses. Keiner der beiden sprach ein Wort. Saag wan wagte nicht einmal, sich umzudrehen.
Schließlich zog Kast die Arme zurück, wobei seine Finger über ihre nackten Arme fuhren.
Saag wan erzitterte, als die kalte Luft ihre heiße Haut berührte.
Ohne sich noch einmal umzublicken, tauchte sie anmutig ins Meer, und das kalte Wasser wusch die Tränen fort, die ihr über die Wangen liefen.
Als sie sich aus dem Leviathan befreit hatte, schwamm sie unter seinem Bauch einen Bogen und drehte sich so, dass sie die Öffnung im Blickfeld hatte. Saag wans innere Augenlider waren bereits zugeklappt, sodass sie durch das Wasser deutlich sehen konnte. Während sie wartete, befühlte sie die Stelle am Hals, an der sie der Blutreiter berührt hatte. Selbst in der Kälte des Meeres erwärmte sich ihr Blut bei dem Gedanken daran. Ihr fehlten die Worte für die Flut von Gefühlen, die ihr Herz mit einem Mal durchströmte.
Saag wan nahm die Hand vom Hals und schwamm näher an die Öffnung an der Unterseite des Leviathans heran. Sie durfte nicht zulassen, dass ihr Herz sie bei der Erfüllung ihrer Pflichten behinderte. Kast war der wiedergeborene Urvater ihres Volkes. Wenn ihr Onkel Recht hatte, ruhte das Schicksal der Mer’ai auf Kasts Schultern. Mit rudernden Armen und Beinen wartete sie in der Nähe des Obligatums. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis eine Explosion von Luftblasen die Stelle aufwühlte, an der Kast aus dem Bauch des Leviathans stürzte.
Sie schwamm näher. Kast schlug um sich, er drehte und wand sich beim Versuch, die Orientierung
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