Alasea 03 - Das Buch der Rache
der Besatzung hatte sich hier versammelt um dem Kampf zwischen dem Schamanen und dem Kielmeister beizuwohnen. Der Raum diente meist als Speisesaal, aber jetzt hatte man die mit Bierflecken gefärbten Tische und Bänke an die Wand geschoben und vor dem längsten Tisch einen freien Platz geschaffen. Der Geruch von Fischeintopf hing zwar noch in den Sparren, aber der Speiseraum hatte sich nun in einen Gerichtssaal verwandelt.
Pinorr betrachtete die Richter. Hinter dem langen Tisch hatten Jabib und Gylt Platz genommen, der Erste und der Zweite Maat des Schiffes. Sie standen auf Ulsters Seite.
Pinorr beäugte die beiden misstrauisch. Jabib, der Erste Maat, war ein Riese von einem Mann und genauso dünn wie groß; eine verwachsene Nase saß wie ein zerbrochener Kahn in seinem pockennarbigen Gesicht. Gylt, der zweite Richter, war klein und stämmig, und in sein mürrisches Gesicht schien immer währender Verdruss eingemeißelt zu sein.
Von diesen beiden hatte Scheschon keine Gnade zu erwarten. Ulsters selbstgefälligem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, war die Sache mit Scheschons Angriff auf den Kielmeister bereits entschieden. Eigentlich war ein Kielmeister vor Gericht jedem anderen Besatzungsmitglied gleichzustellen, aber Pinorr hatte das Grinsen, das die zwei Richter heimlich mit Ulster austauschten, bereits bemerkt.
Die Gerechtigkeit würde an diesem Tag so blind sein wie ein Maulwurf.
Während Pinorr seine Aussichten abwägte, trat Ulster, der neben ihm gestanden hatte, vor, um die Verhandlung zu eröffnen. Der Kielmeister verbeugte sich tief vor den beiden Richtern, so wie es der Brauch war.
Pinorr folgte ihm, doch er verneigte nur den Kopf und das lediglich ein Mal. Durch die Zuschauer ging ein Raunen ob dieser Verunglimpfung.
Die Gesichter der zwei Maate liefen puterrot an in Anbetracht dieser groben Ehrverletzung. Jabib öffnete den Mund und wollte Pinorr gerade tadeln, aber Ulster kam ihm zuvor, was zeigte, wer diese Verhandlung wirklich führte. »Schamane, die Tochter deines Sohnes hätte vor diesem Gericht erscheinen müssen.«
Pinorr wandte sich an den Kielmeister und bemühte sich, einen respektvollen Ton in seiner Stimme anklingen zu lassen. »Ich stehe hier als ihr Verteidiger, was durchaus erlaubt ist. Ich werde für sie sprechen.«
»Ob nun Verteidiger oder nicht, sie sollte in diesem Raum zugegen sein.«
»Mader Geel passt in meiner Kabine auf sie auf, deine Wachen haben die alte Frau und das schwache Kind sehr gut unter Kontrolle. Oder hast du Angst, die beiden könnten deine Männer überwältigen? Ich kann sie herbringen lassen, falls du um deine Sicherheit fürchtest, wenn das Kind nicht im Raum ist.«
Ulster plusterte sich auf und wurde rot im Gesicht.
Pinorr fuhr fort. »Wir wollten nicht, dass du einer so gefährlichen Schwertkämpferin ein zweites Mal gegenübertreten musst, besonders da sie dich ja offenbar schon einmal besiegt zu haben scheint.« Pinorr nickte zu Ulsters verbundener Hand.
Die Zuschauer kicherten mit abgewandten Gesichtern, sodass Ulster nicht erkennen konnte, wer da über die Worte des Schamanen lachte.
Pinorr behielt die ernsthafte Miene bei.
»Gut. Also lass sie dort, wo sie ist. Ich möchte in keinem Fall als ungerecht gelten.«
Pinorr hielt ein Schnauben zurück. »Dann lass uns diese Angelegenheit zu Ende bringen.«
Ulster räusperte sich und trat noch einen Schritt vor. »Ich beschuldige Scheschon di’Ra des Angriffs auf ein Besatzungsmitglied ohne vorherige ordnungsgemäße Erklärung der Herausforderung.«
Jabib nickte ernst, als würde er über die Worte seines Meisters nachdenken, dann wandte er sich an Pinorr. »Wie lautet deine Antwort darauf?«
Pinorr weigerte sich vorzutreten. »Das alles ist eine Farce. Die Tochter meines Sohnes kann keine Jakra, keine Blutfehde, erklären, weil dieses Wort für sie keine Bedeutung hat. Wie wir alle hier wissen, ist Scheschons Geist nicht sehr rege. Sie ist ein Kleinkind im Körper eines jungen Mädchens. Sie als vollwertiges Besatzungsmitglied vor ein Gericht zu stellen, kann nur das Werk eines feigen Mannes sein.«
Die Menge tobte nun hinter dem Schamanen.
Ulster übertönte den Tumult. »Da irrst du, Schamane. Ich habe nie behauptet, das Mädchen sei ein Besatzungsmitglied. Es ist Sache des Gerichts, darüber zu entscheiden. Ich befolge nur den alten Kodex der De’rendi. Das Mädchen hat ein Alter von zehn Wintern erreicht und unser Gesetz gebrochen. Der Kodex drückt sich hier sehr klar aus. Sie muss
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