Alasea 03 - Das Buch der Rache
vor das Gericht treten und darauf vertrauen, dass dieses die gerechte Strafe für ihr Vergehen finden wird.«
Die Menge beruhigte sich allmählich, nur noch Gemurmel war zu hören.
Pinorr fiel auf, wie belustigt ihn die Richter anschauten. Es würde schwierig werden, die Buchstaben des Gesetzes der De’rendi für seine Zwecke auszulegen. Ulster hatte einen schwachen Punkt gefunden, den er für sich ausnutzen konnte, und nun feierte er bereits den sicheren Sieg. Aber Pinorr war noch lange nicht am Ende. Er wusste, dass ein Feuer oft nur mit Feuer bekämpft werden konnte.
»Du sprichst viel vom Kodex«, sagte Pinorr. »Aber du hast nicht weit genug in die Vergangenheit geblickt, um auf ein noch älteres Gesetz zu stoßen: ›Wer eines Vergehens bezichtigt wird, kann seinen Ankläger zur Jakra herausfordern.‹«
»Ein Blutduell.« Ulsters Gesicht wurde aschfahl, doch gleich danach kam ihm ein Lachen über die harten Lippen. »Du wirst wohl langsam selbst verrückt, alter Mann! Hat der Wahnsinn der Rajor Maga dich endlich erwischt, so wie er alle Schamanen irgendwann befällt?«
»Die Berührung der Meeresgötter hat mich noch nicht geblendet. Mein Verstand ist immer noch mein Eigen. Und als Scheschons Verteidiger verlange ich eine Jakra.« Er deutete auf den Kielmeister, der doppelt so viel an Muskeln hatte wie Pinorr und nur halb so alt war. »Ich fordere dich zu einem Blutduell mit Scheschon heraus.«
Das Entsetzen in Ulsters Gesicht wischte alle Spuren der Selbstgefälligkeit beiseite. Pinorr sah, wie der Verstand des Mannes fieberhaft an dem Rätsel arbeitete, das er ihm aufgegeben hatte. Der Kielmeister hatte keine Ahnung, welche Richtung Pinorr in diesem Sturm einschlagen wollte. Kein Mensch, der ein halbwegs normales Urteilsvermögen besaß, würde jemals den Weg der Jakra gehen. Auf dieses altertümliche Gesetz hatte sich seit über einem Jahrhundert niemand mehr berufen. Jeder wusste, dass es besser war, das strenge Urteil eines Gerichtes zu ertragen, als zum Blutduell herauszufordern. Die Aussichten für den Herausforderer waren stets gering. Wer um ein Blutduell bat, musste sich seinem Gegner unbewaffnet stellen, wohingegen es dem anderen, dem Ankläger, freistand, eine Waffe zu wählen. Während der gesamten Geschichte der De’rendi hatte kein einziger Herausforderer eine Jakra überlebt.
»Was ist das für ein Spiel, das du mit uns spielst?« zischte Ulster.
»Nimmst du diese Herausforderung an, Ulster? Oder möchtest du einen Vertreter benennen, der deine Stelle im Ring einnimmt?«
Nun, da Pinorr den Kielmeister schon als feige bezeichnet hatte, würde Ulster es nicht wagen, einen Vertreter zu nennen, damit er den Respekt der Mannschaft nicht verlor. »Ich nehme die Herausforderung an«, antwortete der Kielmeister vorsichtig. »Und ich vermute, du hast bereits jemanden im Sinn, der für Scheschon eintritt und töricht genug ist, um unbewaffnet mit mir in den Ring zu steigen.«
Pinorr zuckte mit den Schultern. »Ja, mich.«
Den Zuschauern verschlug es den Atem. Den Schamanen war es verboten zu kämpfen. Wen die Meeresgötter einmal zur Rajor Maga berufen hatten, der war gezwungen, seinen Kriegerzopf zu lösen und nur noch die Gewänder der Schamanen zu tragen. Selbst das Tragen eines Schwertes war den Schamanen verboten. Es galt als die ärgste Beleidigung, die man den Meeresgöttern zufügen konnte, wenn ein Schamane als gemeiner Krieger kämpfte. Es besudelte die Gaben, die die Götter verliehen, und rief Unglück auf ein Schiff herab.
»Du kannst nicht in den Ring treten, Schamane«, erklärte Ulster. »Es ist verboten. Wähle einen anderen, der für Scheschon eintreten soll.«
»Das Gesetz drückt sich hier klar aus. Wer um eine Jakra ersucht, darf jeden Kämpfer wählen, der dazu bereit ist. Er darf nicht abgewiesen werden ganz gleich, ob er nun Schamane ist oder nicht.« Pinorr wandte sich an Ulster. »So steht es im Kodex.«
Ulster stand mit rotem Gesicht da.
Nun erhob Gylt, der bislang geschwiegen hatte, zum ersten Mal die Stimme. »Aber wenn du kämpfst, wirst du den Fluch der Meeresgötter auf unser Schiff herniederrufen«, stieß er hervor. Jabib saß mit finsterer Miene neben seinem Mitrichter und schwieg.
Die Menge stimmte jedoch Gylt heftig zu.
Ulster bemerkte, wie seine Mannschaft in leichte Panik verfiel. »Wenn du stirbst«, erklärte er drohend, »so sagt der Kodex eindeutig aus, muss auch Scheschon sterben, da sie diejenige ist, die du vertrittst und zwar durch
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