Alasea 03 - Das Buch der Rache
Sie ertränken die Sonne früh, sodass die Jakra jetzt abgehalten werden kann.«
Jabib stellte sich neben Pinorr. Schulter an Schulter standen sie Ulster gegenüber. Der Erste Maat sprach mit strenger Stimme. »Sie muss zuerst wählen, Kielmeister.«
Enttäuschung und Rage wüteten in Ulsters Gesicht. Er erzitterte, dann zog er Scheschon an den Armen hoch und blickte ihr mit wilden Augen ins Gesicht. »Wähle!« brüllte er.
Sie wimmerte und versuchte sich aus seinem Griff zu befreien.
»Lass meine Enkelin los«, sagte Pinorr kalt, »oder ich werde das Schwert gegen dich erheben.«
»Du wagst es, mir zu drohen!« Ulster ließ Scheschon fallen, und sie plumpste wie eine kaputte Puppe auf die Deckplanken. Dann krabbelte sie zurück zu Pinorr.
Jabib stellte sich zwischen Ulster und Pinorr. Er überragte beide. »Genug jetzt!« brüllte er. Er sah Pinorr an. »Die Jakra wurde ordnungsgemäß ausgesprochen, und zwar aus deinem eigenen Mund.« Dann wandte sich Jabib an Ulster. »Und solange diese Angelegenheit nicht abgeschlossen ist, bin ich noch immer Richter. Also wirst du dich meiner Autorität beugen müssen, oder ich werde den Großkielmeister veranlassen, dich deines Amtes zu entheben.«
Seine Worte schienen das Fieber in Ulsters Augen zu senken. »Dann lass sie entscheiden«, forderte der Kielmeister und trat einen Schritt zurück.
Pinorr blickte zu Scheschon hinunter. Wieder war ihr leerer Blick zum grollenden Himmel gerichtet. Sie verstand nichts von dem, was hier vorging. Sie deutete auf die schwarzen Wolken, die nun über sie hinwegfegten. »Sie sind da.«
Pinorr konnte nicht anders, als hinaufzublicken zu der Stelle, auf die sie zeigte.
Da riss ein Teil der Gewitterwolken ab. Ein flatterndes Stück Dunkelheit fiel auf sie hernieder. Blitze jagten hinter dem dunklen Fleck über den Himmel, während der Donner wütend krachte.
Auch andere Augen beobachteten diese Erscheinung. »Was ist das?« fragte Jabib.
Pinorr hielt den Atem an. Seine Meeressinne schrien in seinem Kopf wild durcheinander.
Das Stück Dunkelheit wurde größer und raste wie ein Pfeil zwischen den zuckenden Blitzen über den Himmel. Es war ein riesiges Ungeheuer mit Flügeln. Pinorr wusste, worum es sich handelte. Er hatte schließlich Scheschons Schnitzerei gesehen. »Geht zurück!« brüllte er und zerrte Scheschon mit sich, aber das Kind riss sich los.
Das Mädchen lief mit hoch erhobenen Armen weg. »Sie sind da! Sie sind da!« sang sie.
Ulster hatte die Hand ans Schwertheft gelegt. »Sie ruft einen Dämon auf uns herab!«
Mittlerweile hatten alle an Deck aufgehört, das Schiff hastig gegen den aufziehenden Sturm zu sichern. Alle Augen an Bord waren auf den Sturzflug des großen, schwarzen Ungeheuers gerichtet.
»Es ist kein Dämon«, meinte Pinorr und gab damit Ulsters Wut weitere Nahrung. »Etwas noch Schlimmeres.«
»Was?«
»Ein Drache.«
Der folgende Donner machte jede weitere Unterhaltung unmöglich und ließ die Takelage zittern und wackeln. Pinorrs Behauptung erwies sich als wahr. Das Ungetüm segelte an den Spitzen der Masten vorbei. Schwarze Schuppen spiegelten die Blitze wie ein Ölfilm auf Wasser wider. Plötzlich wendete das Monstrum über ihnen. Aus seinen roten Augen blitzte das Wüten des Sturmes.
Schreie der Furcht und des Grauens schallten übers Deck. Ein Mann sprang sogar vor Angst über Bord.
»An die Harpunen!« schrie Jabib, der nun auch von der allgemeinen Panik erfasst war.
Da stürzte das Ungeheuer auf sie hernieder. Es fiel wie ein Felsbrocken aus dem Himmel. Pinorrs Augen weiteten sich vor Entsetzen, denn das Tier zielte genau auf die fast leere Mitte des Decks genau auf die Stelle, wo Scheschon stand, die wie gebannt auf die Kreatur starrte.
»Scheschon!«
Aber Pinorrs Warnung kam zu spät. Der Drache landete mit lautem Krachen auf dem Deck, die Flügel bremsten, und die Krallen gruben lange Rinnen in die Planken, als er schlitternd zum Stehen kam. Sein heißer Atem dampfte in die kühle Luft. Rote Augen starrten auf die Menschen, die wie angewurzelt in einiger Entfernung an Deck standen. Silberne Zähne, länger als der Unterarm eines ausgewachsenen Mannes, glänzten hell im letzten Schein der Sonne. Plötzlich streckte er seinen Hals hinauf zu den gerefften Segeln und stieß ein ohrenbetäubendes Gebrüll in den Himmel.
Die Männer und Frauen auf dem Schiff fielen auf die Knie und flehten um ihr Leben. Einige rannten zu den Luken. Nur eine Hand voll zeigte Mut und griff zu Schwertern
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