Alasea 03 - Das Buch der Rache
»Ich bin gekommen, um die De’rendi um etwas zu ersuchen«, verkündete sie laut. »Wir erinnern an eure alte Schuld und bitten euch, uns ein letztes Mal zu dienen.« Der Versuch, würdevoll zu erscheinen, wurde durch einen plötzlichen Windstoß zunichte gemacht, der sie fast von ihrem Sitz gerissen hätte, hätte sie nicht hastig nach den Schuppen des Drachen gegriffen. Sie richtete sich wieder auf und strich sich die nassen, grünen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Saag wan fühlte sich nicht wie eine Botin ihres Volkes, sondern eher wie ein durchnässtes Seerobbenjunges.
»Ich heiße Pinorr und bin der Schamane des Schiffes. Ich begrüße euch auf der Drachensporn«, sagte der alte Mann mit einem Anflug von einem Lächeln auf den Lippen. Vielleicht war es nur die Ähnlichkeit mit Meister Edyll, aber Saag wan mochte diesen Mann sofort.
Zwei andere Männer traten zu beiden Seiten des Schamanen vor. »Der Erste Maat des Schiffes, Jabib«, stellte der alte Mann vor. »Und unser Kielmeister Ulster.«
Saag wan betrachtete den zweiten Mann. Seine Miene war wie versteinert, die Augen funkelten vor Misstrauen. Seine Hand ruhte auf dem Heft des Schwertes, das an seiner Hüfte hing. »Warum seid ihr gekommen?« fragte der Mann ungestüm.
Das Kind, das sich an das Gewand des Schamanen klammerte, antwortete an Saag wans Stelle. »Sie sind gekommen, um uns alle zu töten«, erklärte die Kleine fröhlich.
Saag wan blinzelte verwundert bei diesem unverblümten Ausspruch.
Pinorr tätschelte das Mädchen am Kopf. »Entschuldige, Herrin der Mer’ai, aber Scheschon ist ein wenig verwirrt. Sie weiß nicht immer, was sie sagt.«
Saag wan nickte. »Aber vielleicht weiß sie mehr, als du vermutest. Denn das, worum ich euch bitten möchte, könnte euren Tod bedeuten.«
»Wovon sprichst du?« wollte der Kielmeister wissen.
Plötzlich übertönten neue Blitze und Donnerhall alle weiteren Worte. Wind und Regen zerrten am Schiff.
Pinorr schützte das Kind gegen den heftigen Angriff des Himmels. Als der Wind sich legte, um neuen Atem zu holen, blickte er auf zu Saag wan und brüllte gegen den Donner an. »Dein Drache kann den Sturm vielleicht auf dem Deck überstehen, aber wir nicht, und der heftigste Teil des Sturmes hat noch nicht einmal begonnen. Ich schlage vor, wir führen die Unterhaltung unter Deck fort.«
Saag wan biss sich auf die Unterlippe. Solange sie auf Ragnar’k saß, fühlte sie sich nicht bedroht, aber sie fürchtete sich davor, mit diesen Menschen allein zu sein, selbst mit Kast an ihrer Seite. Die Besatzung zählte mindestens fünfzig Männer und Frauen.
Wie um sie zu einer Entscheidung zu drängen, fuhr ein Blitz mit lautem Krachen in die Spitze des Fockmasts, woraufhin blaue Energieströme an der Takelage entlangtanzten. Ragnar’k brüllte seinen Ärger hinaus, und Saag wan blickte in den wild gewordenen Himmel. Keine noch so große Anzahl von Menschen, ganz gleich, wie hart und roh sie sein mochten, konnte eine so große Gefahr darstellen wie die, die hier auf sie zudonnerte.
Sie wandte sich wieder den anderen zu. Die zusammengekniffenen Augen des Kielmeisters ließen sie jedoch zurückschrecken. Saag wan misstraute ihm.
Da sprach der Schamane erneut zu ihr. »Fürchte dich nicht vor uns. Du stehst unter meinem Schutz als Schamane und kannst dich auf dem Schiff frei bewegen.« Pinorr warf einen Blick zum Kielmeister, als wären die nächsten Worte für ihn bestimmt und nicht für Saag wan. »Niemand wird dir etwas tun.«
Ulsters Augen zuckten, er nahm die Hand vom Schwert und verschränkte die Arme vor der Brust. »Mögen unser Herd und Kiel dir Schutz bieten«, sagte er, aber seine Stimme klang kalt und hart und schwächte den einladenden Wortlaut des Satzes ab.
Pinorr schien jedoch zufrieden zu sein und wandte sich wieder an Saag wan. Dadurch verpasste der alte Mann das hasserfüllte Aufblitzen in den Augen des jungen Kielmeisters. Der Sturm über ihnen war also nicht das einzige Unwetter, das dieses Schiff bedrohte. »Komm«, lud der Schamane sie ein und streckte die Hand aus. »Komm mit uns unter Deck.«
Saag wan wusste, dass sie dieses Volk für ihre Sache gewinnen musste, und das würde ihr niemals auf dem Rücken eines Drachen gelingen. Außerdem würde sie das Vertrauen der Blutreiter viel leichter gewinnen können, wenn Kast wieder zu Fleisch und Blut wurde. Er gehörte schließlich zu ihnen.
Sie glitt vom Hals des Drachen und sprang auf die Planken. Dort angekommen, verlor sie jedoch das
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