Alasea 03 - Das Buch der Rache
brausende Wind fing. Der Drache löste die Krallen aus den Deckplanken und wurde vom Sturm ergriffen, und schon erhoben sie sich über die Reling. Als die drei das Schiff verließen, griffen die schaumgekrönten Wellen aus dem Meer nach ihnen, als trachteten sie danach, das Trio vom Himmel zu holen. Einige Wellen türmten sich so hoch auf wie mächtige Klippen, aber der Drache segelte außer Reichweite darüber hinweg.
Blitze jagten hinter ihnen übers Meer.
Saag wan duckte sich unter dem Donner und erwog, dem Drachen zu befehlen, ins wild gewordene Meer zu tauchen, um der Wucht des Sturmes zu entfliehen, aber sie mussten rasch vorwärts kommen. Fliegen ging schneller, und Saag wan fürchtete außerdem, dass das Kind unter Wasser in Panik geraten würde. Scheschon könnte ertrinken und das durfte auf keinen Fall geschehen. Der Erfolg ihres Vorhabens hing von dem Mädchen ab.
Saag wan hielt die zitternde Kleine fest, die unablässig vor sich hinmurmelte. Es klang beinahe wie ein Kinderlied, rhythmisch und eintönig. Der Wind verschlang die meisten Worte, aber einige Bruchstücke erreichten Saag wans Ohr, und die Mer’ai fügte sie im Kopf wieder zusammen:
Drachenherz und Drachenbein,
nur Blut wird brechen Stein,
Drachen schwarz und Drachen hell,
nur Schmerz gewinnt das Duell.
Saag wan hob den Kopf. Der Kinderreim ließ sie nicht mehr los. Was sollte das bedeuten? Ihre Haut prickelte bei den Worten. Genau wie bei Kasts Tätowierung fühlte sie die alte Magik im Gesang des Mädchens.
Die Mer’ai berührte die Wange des Kindes. »Was singst du…?«
Da explodierte mit einem Mal die Welt. Schmerzen versengten Saag wans linke Seite. Sie fühlte sich geblendet, und als sie wieder zu sich kam, hörte sie einen ohrenbetäubenden Schrei. Es dauerte einen Augenblick, bis sie erkannte, dass sie selbst so schrie. Entsetzt starrte sie auf die tosende See, die auf sie zuzurasen schien.
Der Drache stürzte trudelnd aufs Meer zu, sein Kopf hing schlaff herab. Scheschon hatte sich an die Mer’ai geklammert, löste nun jedoch einen Arm und deutete nach links. Saag wan warf einen Blick hinüber und sah den rauchenden Riss im Flügel des Drachen. Süße Mutter, der Blitz musste Ragnar’k getroffen haben! Und sie sah, wie weitere dieser gezackten Speere das ohnehin schon verletzte Reittier jagten.
Saag wan konzentrierte sich auf den Drachen. Ragnar’k, wach auf! Ich brauche dich!
Irgendwo in weiter Ferne fühlte sie ein leichtes Beben. Sie schickte ihre Sinne aus und machte dem Drachen noch einmal die Wichtigkeit ihrer Sache deutlich. Wach auf! Hilf uns!
Ein schwacher Gedanke erreichte sie. Saag wan?
Die Mer’ai wusste sofort, dass das nicht vom Drachen kam. Aber sie hatte keine Zeit, um über dieses Wunder nachzudenken. Kast! Du musst Ragnar’k aufwecken!
Der Körper des Drachen fiel in ein Tal zwischen haushohen Wänden aus schäumendem Wasser. Instinktiv ließ das Tier die Flügel ausgebreitet, sodass sie zwischen den mächtigen Wellen dahinglitten. Doch es würde nicht mehr lange dauern, und der Drache würde auf dem Wasser aufschlagen.
Kast kämpfte. Ich weiß nicht, wie…
Unternimm etwas! Oder das Mädchen und ich werden sterben!
Plötzlich begann der Drache unter ihr zu schlingern. Beinahe hätte er sie von seinem Rücken geworfen. Das große Tier zitterte und hatte arg mit dem verletzten Flügel zu kämpfen. Doch endlich streckte Ragnar’k den Hals aus, dessen Schuppen von Salzwasser glänzten. Er drehte den Kopf von links nach rechts, um die Lage zu überblicken.
Riesige Wellen drohten nun über ihnen zusammenzubrechen, vom Wind weiß gepeitscht.
Beeil dich!, drängte Saag wan das Tier, denn sie sah, dass der Wellenkamm bereits abbröckelte.
Da wölbte der Drache plötzlich den Rücken und machte kehrt. Ragnar’k spannte alle Muskeln, und seine Schwingen kämpften mit aller Kraft gegen Wind und Regen. Der Drache brüllte seine Verzweiflung und seinen Zorn hinaus, indes er den massigen Körper aus dem Wellental emporwand.
Saag wan drehte sich um und sah, wie die Wellen sie verfolgten und gleichsam versuchten, nach dem Schwanz des Drachen zu greifen.
Dann war es vorbei.
Mit einem letzten Flügelschlag wuchtete sich der Drache über die Riesenwellen hinweg. Das Wasser toste und brauste unter ihnen und verfehlte den Schwanz des Drachen nur um eine Handspanne.
Weinend vor Erleichterung, brach Saag wan über dem Mädchen zusammen. »Wir haben es geschafft«, stieß sie hervor. Saag wan streichelte
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