Alasea 03 - Das Buch der Rache
der Frau weiteten sich vor Entsetzen, aber sie nickte verständnisvoll.
»Ihr müsst das Schiff des Großkielmeisters noch vor dem Morgengrauen erreichen«, schloss Pinorr. »Wenn die Flotte sich nach dem Unwetter erst einmal wieder neu formiert hat, müsst ihr dem gesamten Rat der Kielmeister gegenübertreten, und da gibt es viele wie Ulster, die euch nicht einmal anhören werden. Der Großkielmeister aber ist ein gerechter Mann. Wenn ihr ihn allein in diesem Sturm antrefft, wird er eurem Anliegen Gehör schenken. Überzeugt ihn, und der Kampf ist gewonnen. Er muss die Wahrheit über die gemeinsame Vergangenheit der beiden Völker erfahren.«
»Aber der Sturm…«, wandte Kast ein, als der nächste Donner die Planken des Schiffes und die Schüsseln auf dem Tisch erschütterte.
»Wir werden den Meeresgöttern vertrauen müssen«, beschwichtigte Pinorr ihn.
Saag wan war offenbar nicht ganz so überzeugt von dem Plan, in ihren Augen spiegelte sich der Zweifel wider. »Du hast sehr viel Vertrauen in die Götter und alten Drachengeschichten.« Ihr Blick fiel auf das kleine Kind, das in der Ecke spielte. Speichel floss aus der schlaffen Seite des Mundes. »Wenn sich irgendetwas als falsch erweisen sollte…«
Pinorr stand auf. »Ich weiß, was ich aufs Spiel setze.« Er ging zu Scheschon hinüber und hob die Tochter seines Sohnes hoch.
Das Mädchen lächelte ihm ins Gesicht. »Papa, wo gehen wir hin?«
»Wir werden fliegen, mein Herz. Mit einem Drachen davonfliegen.«
Ulster saß zusammen mit Jabib und Gylt im Speiseraum des Schiffes. Der Sturm schleuderte die Laternen an der Wand wild hin und her und brachte die langen Schatten der Männer an der Wand zum Tanzen. Der Donner rollte unablässig über den Himmel und erschütterte das Schiff von Zeit zu Zeit mit ohrenbetäubenden Schlägen, die den tulusischen Kaffee in den Humpen erzittern ließen.
Bei jedem Knall zog Gylt ängstlich den Kopf ein und blickte nervös zur Decke, als rechnete er jeden Augenblick damit, getroffen zu werden. »Mögen die Meeresgötter uns beschützen«, betete er und wartete, dass auch das Echo des Donnerhalls verstummte.
Ulster runzelte die Stirn angesichts der Angst des Maats. »Die Götter beschützen keine Narren. Nur ein gut bemanntes Schiff wird diesen Sturm überleben.« Er wandte sich wieder an den Ersten Maat. »Wen hast du ans Ruder gestellt, Jabib?«
»Biggin, Kielmeister. Wir haben ihn bereits ans Ruder gebunden. Er ist der beste Mann bei so rauer See.«
»Was ist mit Hrendal?«
Jabib schüttelte den Kopf. »Er ist der bessere Navigator, aber sein Gespür fürs Meer ist nicht so gut wie Biggins.«
Ulster nickte. Er schien zufrieden mit der Entscheidung des Ersten Maats. Jabib kannte die Stärken und Schwächen der Mannschaft besser als er. »Gut. Mit der vertäuten Takelage und dem geräumten Deck sollten wir sicher durch den Sturm kommen.«
Jabibs Gesichtsausdruck wirkte jedoch nicht so zufrieden.
»Stimmt etwas nicht?«
»Die Mannschaft, Kielmeister. Es wird geredet. Sie sagen, dein Kampf mit Pinorr sei schuld daran, dass sich dieser Sturm über der Flotte zusammengebraut hat. Sie glauben, dass der Drache vom Himmel hervorgebracht wurde, um das Schiff zu bestrafen, und dass er vom Geist deines toten Bruders gelenkt wird.«
Ulster schnaubte verächtlich. »Das ist lächerlich. Kast ist nicht gestorben. Er ist nur weggelaufen. Der Drache und das Mädchen sind lediglich ein Vorwand, damit er zur Flotte zurückkehren konnte. Mit ihm und seiner grünhaarigen Hure werden wir nach dem Unwetter schon fertig werden.«
Jabib zuckte die Schultern. »Es wird eben geredet. Die Männer haben Angst vor der Gewalt des Sturmes, und die Vorkommnisse vorhin auf dem Deck sind ihnen unheimlich. Sie können sich gar nicht beruhigen. Gerüchte gehen um. Ich habe sogar einige aus der Mannschaft munkeln hören, dass sie den Schamanen ins Meer werfen wollen, um die Götter zu besänftigen…«
»Das ist allerdings keine schlechte Idee«, murmelte Ulster.
»Andere dagegen haben dasselbe mit dir und deinem Bruder vor.«
Da schlug Ulster mit der behandschuhten Faust auf den Tisch. »Was sagst du da? Wollen sie meutern?«
»Es ist nur Gerede, Ulster. Aber wenn du deine Stärke beweisen würdest…«
Ulster dachte über die Worte nach. »Was schlägst du vor?«
»Du solltest deine Liebe zu den Göttern öffentlich zeigen.« Jabib sah sich im Raum um und beugte sich dann näher zu Ulster hinüber. »Ein Opfer… durch deine eigene
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