Alasea 03 - Das Buch der Rache
nicht mehr der Schamane der Drachensporn und auch nicht ihr Krieger. In dieser Nacht war Pinorr die leibhaftig gewordene Rache der Götter.
Er setzte seinen Weg zum vorderen Teil des Bugs fort, wo sich der feige Hund wenn Pinorr den Kielmeister richtig einschätzte bestimmt in seiner Kajüte versteckte. Pinorr umklammerte das Schwert noch fester. Er freute sich schon auf den Gesichtsausdruck des Kielmeisters, wenn der Mann erfuhr, dass seine Knechte versagt hatten obwohl das aller Wahrscheinlichkeit nach das Letzte sein würde, was Pinorr zu Gesicht bekäme. Denn ob nun gerechtfertigt oder nicht, Pinorr machte sich keine falschen Vorstellungen darüber, wie die Strafe für seine Taten aussah. Es war einem Schiffsschamanen verboten, Stahl auch nur zu berühren, und es bedeutete den Tod, wenn er Blut vergoss.
Doch Pinorr kannte seine Pflicht. Letztendlich ruhte das Schicksal des Schiffes in seinen Händen. Er konnte nicht länger zulassen, dass Ulster das Deck beschmutzte.
Schließlich erreichte Pinorr sein Ziel. Er blieb vor einer breiten Tür stehen, die dick mit Eisen beschlagen und verstärkt war, und wartete einen Atemzug lang. Dann erhob er das Schwert und pochte mit dem Heft gegen den Türrahmen.
Eine ungeduldige Stimme drang heraus. »Ja, ich weiß von dem Feuer. Ich komme gleich!«
Pinorr runzelte die Stirn über diese Antwort. Welches Feuer? Doch bevor er weiter über dieses Rätsel nachdenken konnte, flog die Tür auf. Ulster stand vor ihm und zog sich gerade seine Weste über. Halb angezogen erstarrte der Kielmeister in der Tür, als er sah, wer vor ihm stand.
Keiner der beiden Männer bewegte sich.
Dann warf Pinorr dem Kielmeister Jabibs Zopf vor die Stiefel. Es war eine kriegerische Geste, die für gewöhnlich einem Anführer zeigen sollte, dass ein Mord verübt wurde, der das Schiff vor etwas bewahrte. Der blutige Schweif klatschte auf die Planken wie ein Büschel nasser Seetang. »Ich glaube, das gehört dir«, sagte Pinorr kalt.
Ulsters Blick fiel kurz auf den Zopf, doch dann richtete er die Augen schnell wieder auf das Schwert. Es war offensichtlich, dass der Kielmeister mehr darüber erschrocken war, Pinorr mit einem Schwert vor sich zu sehen, als dass er sich um das Schicksal seines Ersten Maats sorgte.
»Was hast du getan, Schamane?« fragte er, und dabei stand ihm das Grauen ins Gesicht geschrieben.
»Was ich schon lange hätte tun sollen. Ein eiterndes Geschwür habe ich weggeschnitten, bevor sich die Krankheit auf den Rest der Flotte ausbreiten kann.«
Ulster wich langsam vor Pinorrs Schwert zurück. In der Eile hatte der Kielmeister vergessen, seinen Waffengürtel anzulegen. Dieser hing noch über dem Stuhl in seiner Kajüte.
Pinorr folgte Ulster Schritt für Schritt durch die Kajüte, während die Worte, welche so lange in seinem Herzen eingeschlossen waren, nun über seine Lippen sprudelten. »Ich liebte deinen Vater. Es war nur die Erinnerung an ihn, die meine Hand so lange unter Kontrolle hielt. Als dein Bruder Kast zurückkam, erkannte ich endlich, wie wenig vom Blut deines Vaters doch in deinen Adern fließt, Ulster.«
Der Kielmeister spuckte Galle, um sich Pinorrs Zorn ebenbürtig zu erweisen. »Ich habe wenig von meinem Vater?« Ulster stieß ein hartes Lachen aus. »Und du glaubst, das könnte mich beleidigen? Der alte Mann war mir ähnlicher, als du dir vorstellen kannst, Schamane. Hast du zu mir gehalten, als mein Vater mich blutig schlug, nachdem ich im Schwertkampf Zinbathis Sohn unterlegen war? Warst du da, als man mir die gebrochenen Rippen verband, nachdem er mich wieder einmal brutal niedergeschlagen hatte? Oder wenn die Verbrennungen an meinen Armen sich einen ganzen Mond lang schälten und immer wieder aufrissen?« Ulster deutete zur Tür. »Hinter verschlossenen Türen können sich die Gesichter derer, die man zu kennen glaubt, als völlig anders erweisen, Pinorr. Nur ich habe das wahre Antlitz meines Vaters gesehen, das er vor dem Rest der Mannschaft verbarg.«
Pinorr stolperte über seine eigenen Füße, als er diese Lügen hörte. »Wie kannst du es wagen, so über das Andenken deines Vaters zu lästern!«
»Du warst schon immer blind, Schamane. Du magst vielleicht mit scharfen Sinnen für die Meere gesegnet sein, aber das Herz meines Vaters blieb dir verborgen.« Ulster kniff die Augen zusammen. »Oder hattest du vielleicht Angst, tiefer zu blicken? Hast du womöglich geahnt, was dort lauerte, aber befürchtet, einen fähigen Anführer zu
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