Alasea 03 - Das Buch der Rache
sich zusammen. Xin spürte das Unbehagen und berührte den Arm des Jungen, aber Joach konnte sich nicht bewegen. Die ungute Vorahnung lähmte ihn.
»Ich kann die Furcht in deinem Herzen lesen«, sagte Xin.
Joach fand keine Worte, um die Klauen des Schreckens zu beschreiben, die ihm den Hals einschnürten. Während Ragnar’k über der Mer’ai Armee geschwebt war, hatte sich vor Joachs innerem Auge eine Szene abgespielt, die die Wirklichkeit für kurze Zeit verdeckt hatte. Er hatte gesehen, wie der See sich blutrot verfärbt und wie Drachen sich im Todeskampf gewunden hatten. Der Himmel war voller Dämonen gewesen, und die Wasser hatten geschäumt im Kriegsgemetzel. Mit einem Wimpernschlag war dieses Schauspiel wieder verschwunden gewesen und hatte Joach erschüttert zurückgelassen.
Er konnte nicht mehr unterscheiden, was nun Wirklichkeit und was Einbildung war. Hatte das Auftauchen Ragnar’ks eine Vision ausgelöst? War dieses entsetzliche Bild ein kurzer Blick in die Zukunft gewesen? Ragnar’k, der früher, als er noch unter A’loatal geschlummert hatte, ein Jungbrunnen elementarer Magik gewesen war, strahlte diese Magik noch immer aus. Vorhin, als der Drache nur an ihm vorübergeflogen war, hatte die auflodernde Energie in Joachs Blut schon gekribbelt.
Aber Joach erinnerte sich auch an den falschen Traum, in dem er auf einem Turm in A’loatal gegen Er’ril gekämpft hatte. Und da er schon einmal einem so schwerwiegenden Irrtum aufgesessen war, hatte er auch nun kein Vertrauen in seine seherischen Fähigkeiten.
Joach fasste sich an die Stirn, er war verwirrt.
Xin flüsterte ihm etwas zu. »Teile, Bruder. Teile die Angst, um dich von ihr zu lösen.«
Die beruhigenden Worte des Mannes drangen schließlich doch bis zu Joach vor. Die Stimme des Jungen bebte, als er sprach. »Ich… ich sah ein Massaker. Ich dachte, man hätte uns verraten.«
Xin sah Joach an, den Kopf leicht zur Seite geneigt. Dann fuhr er erneut das erwachende Auge auf Joachs Stirn nach. »Du bist weise.«
Der feste Blick, als Xin das Symbol auf Joachs Stirn nachfuhr, half dem Jungen, das Durcheinander in seinem Kopf zu klären, und plötzlich fühlte er eindeutig die Wahrhaftigkeit seiner Vision. Er drehte sich den anderen zu, die sich an der Reling versammelt hatten. »Flint irrt sich«, behauptete Joach, und seine Stimme klang fest und entschlossen. »Der Sargassum Tang ist eine Falle.«
Mehrere Stimmen stritten sich quer über den voll besetzten Tisch in der Kombüse. Elena hörte nur zu, eine Hand in der ihres Bruders, der neben ihr saß.
»Der Tang würde niemals ein Mitglied der Bruderschaft verraten«, beharrte Flint weiter auf seinem Standpunkt.
Eine große, stattliche Frau warf ihm von der gegenüberliegenden Seite des Tisches einen missbilligenden Blick zu. Ihr Missfallen galt Flint und Joach. Die Haut der Frau hatte die Farbe von Elfenbein, während ihr langes, glattes Haar im Schein der Wandlampen wie ein Wasserfall aus Sonnenlicht leuchtete. Elena erkannte die Ähnlichkeit, die Saag wan mit dieser Frau hatte. Es gab keinen Zweifel, dies war die Mutter ihrer Freundin. »Ich habe euch die Hälfte der Mer’ai Streitkräfte hier in diesem Meer aus Tang anvertraut. Ihr habt versprochen, dass es eine sichere Zuflucht ist, und nun höre ich die Nachricht, dass es eine Falle sein soll.«
»Das ist keine Nachricht«, stellte Flint fest, »sondern eine Vision. Und selbst wenn das, was der Junge gesehen hat, wirklich ein Vorzeichen ist, so ist ein derartiges Gewebe immer nur eine mögliche Art von Zukunft, keine sichere Auskunft. Die Zukunft wimmelt nur so von vielen verschiedenen Wegen.«
Elena nahm die Verärgerung in der Stimme des alten Seemannes wahr. Der kurze Moment des Jubels bei der Ankunft der Mer’ai und ihrer Drachen war jäh beendet worden, als Joach vom Vordeck gekommen war, um Bruder Flint vor einer unbekannten Bedrohung im Wald zu warnen. Joach hatte seine Vision vom Angriff auf ihre Streitmacht beschrieben. Angesichts dieser schrecklichen Neuigkeiten hatte Flint rasch eine Versammlung der Anführer einberufen, um ihre Möglichkeiten zu beratschlagen.
Saag wans Mutter war als Vertreterin des Ältestenrates mit dem Expeditionskorps in den Sargassum Wald geschickt worden. Sie sprach mit der Stimme der Mer’ai. Kast hatte vom Anführer der Blutreiter, dem Großkielmeister, den Auftrag erhalten, für diese zu sprechen. Da die De’rendi Flotte zu groß und zu unbeweglich war, um den Tang zu durchqueren, waren die
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