Alasea 03 - Das Buch der Rache
Augen. »Im Meer wirst du die Spur finden, Rockenheim. Das Meer ist deine Spur.«
»W was meinst du damit?«
Greschym wandte sich ab und setzte den Weg die Stiege hinunter fort. »Komm. Die erste Tageshälfte ist bereits verstrichen. Bei Sonnenuntergang musst du schon unterwegs sein, um der Hexe die Falle zu stellen.« Greschym warf einen Blick über die Schulter zurück zu Rockenheim, der noch immer auf dem Treppenabsatz stand. »Und wer weiß, was noch alles in unsere wässrige Falle gerät? Oft kann man die seltsamsten Dinge aus dem Meer fischen.«
Mit wachsender Wut im Bauch folgte Rockenheim dem Alten. Er berührte die geschlossene Narbe auf seiner Brust und fühlte den üblen Schatten, der an den Rändern seines Bewusstseins lauerte. Er nahm die Hand weg. Ganz gleich, welche grauenvollen Taten seine Vergangenheit auch schwärzen mochten, die Bestrafung dafür war zu streng. Kein Mensch sollte ein solches Schicksal erleiden müssen.
Auf bleiernen Beinen stieg Rockenheim weiter die Treppe hinunter und gab sich selbst ein Versprechen. Bevor er diese Welt verließ, musste er die Wahrheit über seine Vergangenheit erfahren haben, musste er wissen, warum er mit einer solchen Last beladen war, und er würde sich gerächt haben an jenen, die ihm dieses Schicksal aufgebürdet hatten. Das schwor er sich.
Es war Mittag, und Joach befand sich, abgesehen von den fremden, dunkelhäutigen Seemännern, die dafür sorgten, dass die Bleicher Hengst langsam durch den endlosen Wald aus rotblättrigen Bäumen glitt, allein auf dem Deck. Die anderen Gefährten hatten sich alle unter Deck zurückgezogen, um der gnadenlosen Sonne zu entrinnen oder sich anderen Aufgaben zu widmen.
Allein gelassen, hatte Joach nichts anderes zu tun, als seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Mit untergeschlagenen Beinen saß er im Schatten des Großmasts. Seine behandschuhten Hände rollten den dunklen Stab nervös über die Knie. Er starrte auf den vorbeiziehenden Wald. Seit Joach erfahren hatte, dass der Sargassum Tang ein lebendes Wesen war, konnte er sich des Gefühls nicht erwehren, dass der Wald ihn beobachtete. Der Junge fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Es war, als musterten ihn tausend Augen: Jedes Haar, jeder Flecken Haut wurde geprüft. Dieses Gefühl wurde immer stärker, je tiefer sie in den Wald hineinfuhren. War das der wahre Grund, warum die anderen nach unten geflohen waren? Hatten auch sie die Allgegenwärtigkeit des Waldes gespürt, der sie unablässig musterte?
Jemand berührte Joachs Schulter. Er fuhr zusammen und rollte sich zur Seite, den Stab fest im Griff. Einer der Zo’ol Matrosen stand vor ihm, die blassen Narben auf seiner Stirn stellten die aufgehende Sonne dar. Der Bursche schien sich nicht davon beeindrucken zu lassen, dass Joach den Stab erhoben hielt. Stattdessen starrte er dem Jungen in die Augen.
Joach fühlte sich mit einem Mal lächerlich und ließ das Holzstück sinken. »Tut mir Leid. Du hast mich erschreckt.«
Der Mann nickte und bedeutete Joach, ihm zur Steuerbordreling zu folgen.
Dieser verstand zwar nicht, warum, aber er wollte den Matrosen nicht noch einmal beleidigen, also kam er seiner Bitte nach. »Was ist da?« flüsterte er. Da der Seemann nicht sprach, empfand Joach seine eigene Stimme als laut und grob.
Der dunkelhäutige Mann drehte sich zu Joach. »Augen beobachten uns«, radebrechte er in der allgemeinen Sprache.
Joach bekam eine Gänsehaut bei diesen Worten. Dann spürte also auch der Matrose die Gegenwärtigkeit des Waldes. »Es sind die Bäume«, antwortete Joach.
Der Mann nickte. »Viele Augen… aber ein Herz.« Er wandte sich wieder dem vorbeiziehenden Wald zu. »Er beobachtet uns, so wie wir ihn beobachten.«
»Bruder Flint meint, er wolle uns nichts Böses, er bemerke kaum, dass wir hier sind.«
Der Zo’ol stieß einen misstrauischen Laut aus. »Er weiß es«, murmelte er.
Darauf folgte langes Schweigen. Jeder war in seine eigenen Gedanken versunken, während der Wald um sie herum immer dichter wurde. Die blättrigen Äste breiteten sich nun so weit aus, dass sie fast kein Sonnenlicht mehr durchließen. Es war, als würden sie einen dunklen Tunnel entlangtreiben.
Joach blickte seinen Nebenmann von der Seite an. Ihm fiel auf, dass er auch nach so vielen Tagen auf See noch immer keinen einzigen der Namen der dunkelhäutigen Seemänner wusste. Die Matrosen blieben meist unter sich, sie aßen und saßen zusammen und unterhielten sich kaum mit den anderen.
Der Mann
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