Alasea 03 - Das Buch der Rache
flehentlich die Arme. »Vergib mir, Bruder Lassen. Ich wusste nicht, dass dein Geist hier ruht.«
Kälte strömte aus den Augen des Schattens. »Ich bin nicht mehr Bruder Lassen. Du sprichst zum Wald. Ich habe so lange mit diesem Holz gesprochen, dass die Grenze zwischen uns verschwommen ist. Ich bin der Wald, und der Wald ist ich. Wir sind jetzt eins. Der Wald erlaubt mir, die Zeit als das zu sehen, was sie ist: ein endloses Meer. Und ich gebe dem Wald die Möglichkeit, die Schönheit in den kleinen Bewegungen der Zeit zu sehen: etwa im Flug eines Vogels am Himmel oder in der Zeitspanne eines einzigen Tages kurz, das Leben durch die Augen eines Menschen zu sehen.«
»Es… es tut mir Leid. Ich wollte keinen von euch beiden stören.«
»Dich trifft keine Schuld.« Der Schatten hob den Stab und prüfte ihn in seiner Gesamtheit. »Ich kann dich in dem Holz fühlen. Dein Schmerz hat mich aus meinem Schlummer in dem Stein hier geweckt. Du trägst ein Verderben in dir, das mein Grab nicht unangefochten passieren kann.«
Rockenheim zuckte zurück. Er fürchtete, dieser Bruder des Waldes könnte die List der Dunkelmagiker aufdecken. Er fürchtete sich vor dem Zorn des merkwürdigen Waldes und des noch merkwürdigeren Geistes.
Aber der Schatten fuhr mit gelassener Stimme fort. »Fürchte dich nicht. Ich spüre zwar das Böse in dir, aber ich fühle auch, dass dein Geist auf das Böse in dir nicht gut zu sprechen ist. Das ist gut. Doch um ehrlich zu sein, kümmert es mich nicht sonderlich.« Der Schatten richtete seine glühenden Augen auf Rockenheim. »Es ist nicht die Rache, die mich aus meinem Grab geholt hat, und auch nicht der Krieg. Wir beide, der Wald und ich, befassen uns nicht mehr mit den Abgründen der Menschenherzen. Für uns ist die Zeit endlos. Um uns herum entstehen Städte und zerfallen Königreiche. Es hat keine Bedeutung. Es ist nur ein weiterer Lebenszyklus. Nein, ich bin gekommen, weil deine verwandte Natur mich gerufen hat.«
»Ich… ich verstehe nicht.«
»Ja, weil du blind bist. Du ahnst nichts davon, aber wir beide ähneln uns sehr wir sind Geister, die in Stein eingekerkert sind.«
»W was?«
»Als ich meinen Körper abstreifte und ihn verrotten ließ, um damit die Wurzeln des Sargassums zu nähren, blieb mein Geist hier, um mit dem großen Wald zu sprechen. Als der Grabstein errichtet wurde, verbündete ich mich freiwillig mit dem Stein.« Er deutete auf die Granitsäule. »Stein verrottet nicht. Er ist nicht Teil des Zyklus aus Leben und Tod. In Stein kann ein Geist bis in alle Ewigkeit wohnen.«
Rockenheim ergriff das Wort, bevor die Furcht ihn davon abhalten konnte. »Aber was hat das alles mit mir zu tun?«
»Auch du bist an einen Stein gebunden aber ich spüre genau, dass diese Bindung ohne deinen Willen geschah. Es ist dein Schmerz, der mich gerufen hat.«
Rockenheim konnte kaum noch atmen und wagte es nicht zu hoffen. »Wie soll das geschehen sein? Warum wurde ich gebunden?«
»Warum? So weit kann ich nicht sehen. Ich bin kein Gott, dass ich die Gedanken deines Peinigers lesen könnte. Aber ich sehe, wer jetzt vor mir steht. Ich kann dein Herz sehen und weiß, dass es aus Stein ist ein Stück schwarzer Fels aus dem Inneren der Erde.«
»Schwarzstein«, stöhnte Rockenheim und legte seine Hand an die vernarbte Brust.
»Dort ist dein Geist für immer eingekerkert.«
»Gibt es keine Möglichkeit, mich zu befreien?« fragte Rockenheim fast heulend.
»Aha…« Die Lippen des Schattens verzogen sich traurig. »Jetzt hast du deinen Wunsch laut ausgesprochen.«
»Kannst du mir meine Frage beantworten?«
»Ja, aber wenn ich das tue, muss ich gehen. Es ist deine Not, die mich heraufgeholt hat. Wenn ich einmal geantwortet habe, kann ich nicht länger bleiben. Ich gehöre nicht in diese Welt.«
Rockenheim rang sich dazu durch, seinem geheimsten Herzenswunsch Ausdruck zu verleihen. »Wie? Wie kann ich mich selbst befreien?«
Der Schatten lächelte beinahe väterlich. »Es würde deinen Tod bedeuten. Dein Geist wurde deinem Körper bereits entrissen, er kann niemals mehr wieder dorthin zurückkehren. Einmal befreit von dem Stein, wird dein Geist einfach weiterziehen.«
»Das ist mir gleich. Ich möchte nur frei sein.«
»Nun gut. Um deinen Geist von den Fesseln zu befreien, muss der Stein gebrochen werden.«
»Aber wie kann ich das…?«
»Zertrümmere den schwarzen Felsen in deiner Brust, und du wirst frei sein.« Und mit diesen Worten begann sich die Erscheinung langsam zu
Weitere Kostenlose Bücher