Alasea 03 - Das Buch der Rache
die Schlacht zu scheren, die vor den Toren der Stadt wütete.
Es war diese Gleichgültigkeit, die Er’ril am meisten Sorgen bereitete. Wenn sein Bruder sich über die Zerstörung hämisch gefreut oder irgendein anderes menschliches Verhalten gezeigt hätte, hätte Er’ril sich besser gefühlt. Diese vollkommene Gefühllosigkeit dem Gemetzel gegenüber zeigte erst, wie weit dieses Wesen, das in der Haut seines Bruders wandelte, vom Menschlichen entfernt war.
Während sie den Garten durchquerten, betrachtete Er’ril Schorkans Rücken. Die einzige Regung, die er dem Mann hatte entlocken können, waren die zusammengekniffenen Augen gewesen, als Er’ril hatte verlauten lassen, dass ein Verräter in den Reihen Schorkans lauerte. Aber als Er’ril sich geweigert hatte, Näheres auszuführen, hatte sich die Sorge des Prätors rasch verflüchtigt.
Dennoch war es Er’ril gelungen, zumindest eine Reaktion hervorzurufen. So gut sein falscher Bruder die Rolle des gleichgültigen Halbgottes auch spielen mochte, Er’ril wusste genau, dass ein Teil vom alten Schorkan hinter diesem kalten Antlitz überlebt hatte. Nicht die edlen oder guten Seiten, sondern die niederen Eigenheiten, die Schorkan stets verborgen und unter Kontrolle gehalten hatte.
In jungen Jahren hatten Schorkans Stolz und sein Selbstvertrauen manchmal seine Urteilsfähigkeit geblendet. Er hatte es gehasst, beim Strategiespiel geschlagen zu werden, und diese kindliche Wut existierte noch immer hinter der weißen Robe. Das Gesicht des Prätors verriet zwar nichts, aber Er’ril wusste genau, dass sich Schorkan das Gehirn darüber zermarterte, wer der Verräter sein könnte. Er’ril hatte den Samen des Verdachts gesät, und er vertraute auf die niederträchtige Natur seines Bruders, die diesen kleinen Samen zu einem wahren Born des Misstrauens machen würde. Denn ein Mann, der seinen Blick stets misstrauisch auf die Begleiter an seiner Seite gerichtet hielt, konnte leicht versäumen, einen Angriff von vorn rechtzeitig zu parieren.
So in etwa erhoffte sich Er’ril die Entwicklung der Lage.
Da die Haut an den Fesseln schon wieder aufgerieben wurde und die alten Wunden unter den Eisenmanschetten schmerzten, war Er’ril froh, als sie die andere Seite des Innenhofes erreicht hatten. Ein Tor aus schmiedeeisernen anmutig geschwungenen Rosenzweigen versperrte den Besuchern den Weg.
Es handelte sich um den Eingang zu den unterirdischen Katakomben, in denen in den vergangenen Jahrhunderten die Gebeine der Brüder von A’loatal bestattet worden waren. Die Gänge führten tief hinein in den vulkanischen Kern der Insel. Einige behaupteten, dass die Tunnel auf natürliche Weise entstanden waren; die flüssige Lava hatte sie angeblich bei der Entstehung der Insel geschaffen. Doch mittlerweile erinnerte in den Gängen und Kammern nur noch wenig an ihre natürliche Beschaffenheit. Über die Jahrhunderte hinweg hatten schlurfende Füße dem schwarzen Stein zu einem glänzenden Schein verholfen, und die frühen Künstler der Stadt hatten die Wände und Decken mit Skulpturen und kunstvollen Reliefs geschmückt.
Dennoch hatte Er’ril hinter dem Glanz immer den natürlichen Fels der Insel spüren können wie den Herzschlag einer Geliebten, wenn man den Kopf auf ihre Brust legt. Dieses Gefühl war immer da gewesen, das Gefühl der Ewigkeit.
Er’ril vermutete, dass der Ort genau aus diesem Grund zur Gruft der Insel auserkoren worden war. Und deswegen hatte Er’ril auch das Buch des Blutes hier beigesetzt. In diesen unterirdischen Gängen schien die Zeit keine Bedeutung zu haben. Es war der vollkommene Ort, um die Vergangenheit zu bewahren und die Zukunft zu schützen.
Das quietschende Klagen der uralten Scharniere katapultierte Er’ril zurück in die Gegenwart. Er zwinkerte die Erinnerungen an die Vergangenheit fort.
»Versperrt das Tor hinter uns«, wies Schorkan den Wachmann an. »Es darf uns niemand stören.«
Der Wächter nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte, aber Schorkan war bereits weitergegangen. De’nal folgte als Zweiter, während Greschym hinter Er’ril herging.
Gleich hinter dem Tor führte eine Treppe hinunter in die erste Ebene der Katakomben. Hier lagen die Brüder in engen, frühen Grabstätten begraben, welche mit gravierten Steinplatten versiegelt waren. Zwei Fackeln steckten neben dem Eingang in der Wand. De’nal nahm eine der Fackeln; Schorkan hingegen hob die Hand, und eine sich drehende Kugel aus Dunkelfeuer schwebte aus seiner
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