Alasea 03 - Das Buch der Rache
verschwunden war. Wollte der Wolf ihr zu verstehen geben, dass der Geist die Eichel zurückhaben wollte? Verwundert drehte sie sich erneut um und stellte fest, dass der Sänger noch immer regungslos mit ausgestrecktem Arm dastand.
Ferndal winselte wieder. Der Laut drang aus tiefster Kehle.
Mikela ging rückwärts zu ihrem Pferd, ohne den Blick von der Lichtung zu wenden. »Hol die anderen«, befahl sie dem Wolf.
Ferndal zögerte zuerst, doch dann sprang er davon.
Die Schwertkämpferin durchsuchte ihr Gepäck. Woher hatte Ferndal oder auch diese Erscheinung gewusst, dass sie die Eichel nicht weggeworfen hatte? Mikela hatte oft daran gedacht, genau das zu tun, aber der winzige grüne Trieb, der unter der Eichelkappe herauslugte, hatte sie stets davon abgehalten. Es handelte sich schließlich um ein Lebewesen, das Mikela nicht einfach zwischen die Steine oder zum Unrat werfen konnte.
Aber wo hatte sie den verfluchten Samen nur hingepackt?
Während sie suchte, blickte sie immer wieder hinüber zu der Blättergestalt. Der rätselhafte Sänger bewegte sich nicht.
Sie tastete sich in einer Seitentasche ihres Gepäcks vor und fand schließlich den glatten und seltsam warmen Samen. Mikela hatte ihn gerade herausgeholt, als der Rest ihrer Gruppe donnernd zum Waldrand geritten kam. Sie hielt eine Hand hoch, um sie aufzuhalten, dann bedeutete sie den anderen abzusteigen.
Sobald dies getan war, führte sie die Gefährten auf die Waldlichtung.
Krals raue Stimme eignete sich nicht zum Flüstern. »Wer ist das?«
Mikela schüttelte den Kopf und ging allein weiter. Als sie nahe genug war, streckte sie die Hand aus und legte die Eichel in die blätterumwickelte Hand der Gestalt. Die Eichel schimmerte im Mondlicht und glänzte für alle sichtbar in der Dunkelheit.
Mogwied stand hinter Mikela und stotterte: »D Das ist die Eichel, die ich Elena gegeben habe! Aus dem Sp Spinnenwald!«
Die Finger des Schattens schlossen sich um den Samen. Die Erscheinung hob die Faust an die Brust und beugte den Kopf. Wieder ertönte das Lied aber die klagende Weise ließ nun ein klein wenig Hoffnung vermuten.
Niemand bewegte sich.
Ein weicher Lichtschein umgab die Gestalt, während die Melodie weiter erklang. Mikela konnte den Blick nicht abwenden und wusste, dass nicht der Umhang leuchtete, sondern etwas im Innern der Gestalt. Das inwendige Licht leuchtete zwischen den zusammengeflickten Blättern heraus, sodass man glaubte, ein entferntes Lagerfeuer durch Bäume zu sehen.
»Was geschieht hier?« fragte Tyrus schroff.
Mikela winkte ab.
Das Lied wurde lauter und klang weniger überirdisch. Das Glühen verstärkte sich ebenfalls und blendete nun fast. Mikela hob eine Hand, um ihre Augen zu beschatten. Da endete das Lied jäh, und das Licht erlosch.
Es dauerte einen Augenblick, bis Mikelas geblendete Augen wieder etwas erkennen konnten. Dann sah sie, dass die Gestalt noch immer auf der Lichtung stand, eine Statue aus Blättern.
Plötzlich blies ein heftiger Windstoß durch die Lichtung. Die Figur erschauderte, als fröre sie, und der Kapuzenumhang fiel auf den Waldboden. Er löste sich in die einzelnen Blätter auf, die ein wenig im Wind herumwirbelten. Diesmal verschwand der Sänger jedoch nicht mit dem aufkommenden Wind.
Zwischen den abgeworfenen Blättern stand eine Frau von schlichter Schönheit. Im Mondlicht schimmerte ihre Haut milchfarben. Ihr nach unten gerichtetes Gesicht und der Oberkörper waren sittlich bedeckt von langen honigfarbenen Locken.
Die Frau hielt die zusammengeballte Faust noch immer an ihre Brust gepresst. Langsam ließ sie den Arm sinken und öffnete die Hand. Die Eichel war nur noch eine hohle Schale, in zwei Hälften gespalten. Die Sängerin ließ sie auf den mit Blättern bedeckten Boden fallen, dann hob sie den Blick zu den anderen. Im Sternenlicht leuchteten ihre Augen im tiefsten Violett.
Mogwied hustete und stolperte zurück. »Ni’lahn!«
27
Zwei Abende später stand Elena vor einem großen Spiegel und runzelte die Stirn. Für die Siegesfeier hatte man sie zurechtgemacht und gewandet wie eine Porzellanpuppe. Das Haar hatten sie ihr geflochten und hochgesteckt, nur ein paar Locken durften neben den kleinen Diamanten baumeln, die ihre Ohrläppchen zierten. Sie trug ein Kleid aus weichem grünem Samt mit einer dunkelgrünen Schärpe und passenden Handschuhen. Der Saum fiel auf den dicken Webteppich und verdeckte die silbernen Schuhe, die jeweils mit einer Seidenrose verziert waren.
Zwei
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