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Alasea 03 - Das Buch der Rache

Alasea 03 - Das Buch der Rache

Titel: Alasea 03 - Das Buch der Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Clemens
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Grisson voranzutreiben. Als das Pferd eine Felswand umrundete, glaubte Mikela eine neue Welt zu betreten, eine Welt, die nur aus leisem Flüstern und verhaltenen Geräuschen bestand. Abgeblockt durch den Felsen, wurden Tyrus’ Lachen und das Donnern des Wasserfalles sofort leiser. Mikela sank erleichtert zusammen und zügelte Grisson zu einem langsameren Schritt. Ferndal schlich sich näher an den Waldrand heran und ließ Mikela einen der seltenen Momente des Alleinseins.
    Während sie den Frieden und die Ruhe genoss, entfernte Mikela sich von Ferndal. Sie ließ Grisson dem Waldrand folgen. Eichen und Erlen beherrschten den Wald, eine Mischung aus Gebirgs und Tieflandbäumen. Auch ein paar Ahornbäume waren darunter. Mikela sog die Luft langsam ein und ergötzte sich am Duft des Waldes: Lehm und Blattwerk, Rinde und Moos.
    Sie schloss die Augenlider, während sie einatmete. Längst vergessene Kindheitserinnerungen kehrten zurück und wurden durch den Duft des Waldes verstärkt. Plötzlich flössen Tränen über Mikelas Wangen. Sie schniefte, wischte sich über die Augen und war überrascht, wie sehr ihre Empfindungen sie überwältigten.
    Von irgendwo drang leise Musik an ihre Ohren. Es dauerte einige Augenblicke, bis ihr das Geräusch bewusst wurde. Die Melodie sprach mehr ihr Herz als ihren Verstand an, sie wirkte wie angezogen von Mikelas Schmerz und ihrem Kummer über ihre verlorene Kindheit und Heimat. Mikela neigte den Kopf zur Seite. Sie vermochte nicht zu sagen, ob die sanften Klänge nun echt oder nur Einbildung waren. Sie horchte auf die Melodie und versuchte angestrengt, sie zu erkennen, und plötzlich wusste sie, dass sie diese traurige Weise bereits kannte.
    Aber wo hatte sie diese schon gehört?
    Grisson trottete weiter am Waldrand entlang. Hinter der nächsten Wegbiegung fand Mikela die Antwort auf ihre Frage. Auf einer Lichtung stand, vom Mondlicht beschienen, ein Sänger. Bekleidet mit einem Kapuzenumhang in den verschiedensten Grün , Gelb , Rot und Brauntönen, stand die Gestalt so regungslos wie ein Baum auf der Lichtung. Nur die liebliche Stimme, die aus dem Schatten der Kapuze erklang, deutete auf ein Lebewesen hin.
    Mikela kannte diese Gestalt. Sie war diesem Sänger schon einmal im Küstenwald bei Port Raul begegnet. Mikela wusste, dass es sich weder um einen Mann noch um eine Frau handelte, der oder die da sang, sondern um einen Schatten, einen Geist.
    Mikela bedeutete Grisson, stehen zu bleiben, und glitt langsam aus dem Sattel. Sie wollte diese Erscheinung nicht noch einmal vertreiben. Sie wollte erfahren, warum dieser Geist sie verfolgte. Als sie die mondbeschienene Lichtung betrat, drehte sich die Gestalt mit einem Blätterrascheln in ihre Richtung. Das Wesen verbarg sein Gesicht weiterhin im Schatten der Kapuze, aber es hob einen Arm und winkte Mikela zu sich.
    Sobald Mikela nahe genug herangekommen war, erkannte sie, dass der Umhang aus einem komplizierten Flechtwerk aus grünen und herbstlichen Blättern bestand. Selbst die Hände der Gestalt steckten in Handschuhen aus Blattwerk. Nicht ein Stückchen Haut lugte irgendwo heraus. Mikela wusste allerdings bereits, dass gar keine Haut herausschauen konnte. Die Blätter waren nicht mehr als eine leere Hülle.
    Plötzlich hörte Mikela hinter sich ein leises Winseln. Sie drehte sich um und sah Ferndal, der am Rande der Lichtung stand. Seine bernsteinfarbenen Augen waren weit aufgerissen und strahlten ein inneres Licht aus.
    Die letzten Töne des Liedes verklangen.
    Mikela fuhr herum. Sie fürchtete, das Auftauchen des Wolfes hätte die Erscheinung vertrieben, doch der Sänger stand nach wie vor in der Mitte der Lichtung. Er war verstummt, aber den Arm hielt er Mikela noch immer entgegengestreckt, mit der Handfläche nach oben, als würde er um ein Kupferstück betteln.
    Mikela wusste nicht, was sie tun sollte, also wandte sie sich an Ferndal und wies ihn an, die anderen zu holen. Doch Ferndal stand nur da, wedelte mit dem Schwanz und winselte fast ängstlich. Mikela starrte in die bernsteinfarbenen Augen des Wolfes und öffnete ihm ihren Geist. Sie bat Ferndal, ihr zu verraten, was seine wölfischen Sinne wahrnahmen. Vielleicht wusste er, warum dieser Geist so beharrlich ihre Wege verfolgte.
    Doch von dem Wolf erhielt sie nur ein Gedankenbild: eine schwarze Eichel. Sie runzelte die Stirn über diese Antwort, erinnerte sich jedoch an den austreibenden Eichensamen, den sie im Blätterhaufen gefunden hatte, nachdem der Sänger das letzte Mal

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