Alasea 03 - Das Buch der Rache
die Meereswind zu verteidigen.
Rockenheim achtete nicht auf die drohende Haltung der beiden und begrüßte Moris mit einem ruhigen Nicken. Hinter dem Dämon kletterten die Kobolde zischend und um sich schlagend über die Reling. Sie warteten offenbar auf ein Zeichen von ihrem Anführer. Rockenheim wandte sich wieder Joach zu. »Dieser alte Dunkelmagiker Dismarum, Greschym, oder wie auch immer du ihn nennen willst ist noch niemals mein Meister gewesen. Aber ich will dir meinen wahren Herrn zeigen.«
Rockenheim fasste sich an die Brust, als Flint vom Heck herüber kam. »Seht nicht hin!« brüllte der alte Seemann übers Deck.
Aber die Warnung kam zu spät. Rockenheim zog den Stoff seines Hemdes zur Seite und legte die gezackte Narbe frei, die die Mitte seines weißen Brustkorbes spaltete. Unter Joachs Blick öffnete sich die Wunde wie das Maul eines Hais, gesäumt von spitzen, gebrochenen Rippen. Aus der Brust des Mannes floss eine ölige Dunkelheit, die lebenden Fangarme der Düsternis. Der Gestank einer offenen Gruft breitete sich aus.
»Hier ist mein wahrer Meister.«
Hinter dem Unmenschen hatten sich nun unzählige Kobolde versammelt. Ihre Krallen gruben sich tief in die Planken des Decks, und gespickte Schwänze klapperten wie alte Knochen. Doch die Kreaturen hielten misstrauisch an sich, voller Ehrfurcht und Angst vor der schwarzen Magik.
»Pass auf«, knurrte Moris Joach zu. »Dieser Mann ist ein Golem. Wertloser Abschaum. Nur die schwarze Magik hält sein Fleisch zusammen.«
Joach, der vor Entsetzen kaum noch atmen konnte, würgte an den Worten seines Zauberbanns. Die schwarzen Flammen auf dem Stab erloschen. Nun hielt er nur noch bloßes Holz in der Hand, das wenig Schutz bot gegen das Böse, das aus dem Körper Rockenheims quoll.
Aus der Tiefe der offenen Brust drang das Heulen verlorener Geister herauf, dröhnte das kalte Lachen des Folterers.
»Ihr habt mich nach dem Kampf mit dem Skal’tum in meinem Grab im Hochland über Winterberg vermodern lassen«, erklärte Rockenheim. »Ich war tot. Bis die Diener des Schwarzen Herzens mich aus der kalten Erde herausscharrten und mir mein Leben zurückgaben.«
»Es ist nicht dein Leben, das man dir zurückgegeben hat«, entgegnete Moris mit dröhnender Stimme. »Es ist ein übler Geist, von dem du besessen bist, der die Wahrheit vor dir verbirgt und deinen wahren Geist erstickt. Erinnere dich, wer du einst warst!«
Joach sah, wie Rockenheims linkes Auge bei Moris’ Worten leicht zuckte. »An was erinnern? Wer, glaubst du, war ich?«
Nun kam auch Flint zu ihnen. Mit der Axt in der Hand stand er als Dritter dem Feind gegenüber. Der alte, vom Leben auf dem Meer abgehärtete Bruder schleuderte Rockenheim seine Worte entgegen. »Wir kennen deinesgleichen. Vor langer Zeit, noch bevor der Herr der Dunklen Mächte die Macht über dich erlangte, hast du Selbstmord begangen. Nur aus einer solch traurigen Seele kann ein Golem geschmiedet werden. Als du deinem Leben entsagtest, gabst du auch das Recht auf deinen eigenen Körper auf.«
Moris senkte die Klinge, seine Haltung bedrohlich und zugleich tröstend. »Der Herr der Dunklen Mächte nahm sich, was du weggeworfen hast, und versklavte deinen Körper. Aber erinnere dich an das andere Leben! Erinnere dich an den Schmerz, der dich in so schwarze Tiefen trieb, dass du dein eigenes Leben beenden wolltest. Selbst die grauenhafteste Magik kann eine solche Erinnerung nicht auslöschen. Sieh dir deine Wachträume an. Erinnere dich!«
Joach betrachtete sein Gegenüber. Er sah, wie der Mann sein Innerstes prüfte, misstrauisch zwar, doch nach etwas Wahrem in den Worten der beiden Brüder suchend. Joach sah Rockenheim mit finsterem Blick an. Was, außer schwarzer Magik, konnte man in diesem Unmenschen noch finden? Aber Rockenheim fand tatsächlich etwas Joach konnte es am Gesichtsausdruck des Mannes ablesen. Muskeln zuckten, während ein innerlicher Kampf in ihm wütete, um die vergessene Vergangenheit ans Licht zu zerren.
Worte purzelten von Rockenheims Lippen. »Ich erinnere mich… ein Traum… Klippen über tosender Brandung… eine Frau… Haare von der Farbe der Mittagssonne… und Flieder… nein, der Duft von Rosen…« Seine Augen weiteten sich und starrten blind in die Ferne. Die Finger, die sein Hemd offen gehalten hatten, verloren den Halt. Die Wunde begann sich langsam über der Dunkelheit zu schließen. »Und ein Name… Linora!«
Da ertönte eine barsche Stimme hinter Joach, und alle fuhren zusammen.
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