Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
breiter. »Du kennst mich eben zu gut.«
»Wie könnte es auch anders sein? Wie oft waren wir hier draußen beim Training? Ich konnte dich nie vom Wasser fern halten.«
Als Innsu sich umdrehte, bemerkte Joach hinter seinem linken Ohr einen kleinen tätowierten Dolch. Auch dieser junge Mann war also ein Meuchler.
»Was macht Meister Belgan?« fragte Kesla.
Der große junge Mann verdrehte die Augen. »Er macht sich Sorgen, was sonst?«
Das entlockte Kesla ein leises Lachen.
Joach runzelte die Stirn. Dieser junge Mann ging ihm allzu vertraulich mit dem blonden Mädchen um.
Kesla sah zu ihm zurück, als hätte sie seine Gedanken gespürt. »Wir haben einen langen Marsch hinter uns, Innsu. Wir sollten zuerst dafür sorgen, dass diese Leute sich waschen und ihren Hunger stillen können und ein Dach über dem Kopf bekommen. Danach können wir nach Herzenslust Neuigkeiten austauschen.«
Er wurde ernst. »Natürlich.« Er richtete sich auf, wandte sich an den Rest der Gruppe und sagte sehr förmlich: »Willkommen in Oo’schal. Kommt und teilt unser Wasser.« Das war wohl die übliche Begrüßung, denn er sprach mechanisch, ohne aufrichtiges Gefühl.
Dann drehte Innsu sich um und redete in der Wüstensprache mit seinen Gefährten, worauf einer ins Tal hinunterlief. Er sollte wohl die Nachricht von ihrer Ankunft verbreiten.
Kesla forderte ihre Reisegefährten mit einer Handbewegung auf, sich zu den Bäumen und zum Wasser hinabzubegeben. »Kommt. Wir haben große Strapazen hinter uns, und ich fürchte, der Rest des Weges wird sogar noch anstrengender werden. Doch heute Nacht wollen wir die Götter der Ödlande ehren und frei von Angst und Sorgen Oo’schals Gastfreundschaft genießen.« Sie ging zusammen mit Innsu voran.
Joach sah sich um. Die beiden anderen Wüstenkrieger waren wieder im Sand verschwunden und bewachten weiter das Tal.
Als er sich nach vorn wandte, bemerkte er, dass Kesla ihn ansah. Ihre Augen waren so blau wie das Wasser des Teichs in der Abenddämmerung. Joach stockte der Atem. Sie wartete, bis er auf gleicher Höhe mit ihr war, fasste ihn am Ellbogen und beugte sich zu ihm. »Heute Nacht sind wir vor Überraschungen sicher. Hier gibt es nichts zu befürchten.«
Er nickte und fing dabei über Keslas Schulter hinweg einen harten, durchdringenden Blick von Innsu auf. Wie ein Wüstenadler, der eine flüchtende Maus beobachtet.
Joach starrte unverwandt zurück und nahm die stumme Herausforderung ebenso stillschweigend an.
Innsus Augen wurden noch etwas schmaler, dann wandte er sich ab.
Kesla schien von alledem nichts mitbekommen zu haben. Sie sprach unbefangen weiter. »Oo’schal ist ein Wüstenname. Es bedeutet: ›Juwel im Sand‹.«
»Und ein Juwel ist sie in der Tat«, sagte Saag wan und griff nach Kasts Hand. »Die Oase ist wunderschön.«
Während sie den Hang hinabgestiegen und in die Schatten getreten waren, hatte sich der Teich verdunkelt. Das tiefe Mitternachtsblau hob sich scharf gegen den roten Sand und die grünen Bäume ab. Nach der ewig gleichförmigen Wüste mit ihren windverwehten Dünen und den schroffen Felsen erschien die Oase mit ihrer Farbenpracht allen wie ein Paradies.
Als sie näher kamen, drangen die Geräusche des Lagers auf sie ein. Stimmen riefen, vielfach widerhallend, über das Tal, um die Ankunft der Gäste und Keslas Rückkehr von ihrer langen Reise zu verkünden. Das Saiteninstrument bekam Gesellschaft von funkelnden Zimbeln und spielte nun anstatt der melancholischen Weise ein fröhliches Lied.
Joach trat unter die hohen, schmalen Bäume mit den ausladenden Kronen und blickte nach oben. Von den Ästen hingen rötlich violette Flaschenkürbisse.
Kesla war seinem Blick gefolgt. »Das sind Gre’nesch Früchte. Ihr Fleisch ist sehr saftig und süß. Die Wüstenvölker zerstoßen die Kerne, streichen sie durch ein Sieb und machen daraus ein starkes Bier, indes die Schamanen die Kerne als Ganze kauen, um sich in die Traumwüste zu versetzen.«
Joach spitzte die Ohren. »Sich in die Traumwüste versetzen? Was soll das heißen?«
»Ein Schamanen Ritual. Ich habe es, ehrlich gesagt, nie so ganz verstanden.«
Joach war enttäuscht. Seit er Flint und Moris verloren hatte, gab es niemanden mehr, der ihn im Gebrauch seiner Gabe, des Traumwebens, hätte unterweisen können. Nachdem er einen seiner Träume mit beinahe katastrophalen Folgen missdeutet hatte betrachtete er sein Talent ohnehin mehr als Bedrohung denn als Geschenk. Im Laufe des vergangenen Monds hatte er
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