Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
streckte den freien Arm aus. »Siehst du den Felsspeer dort am Horizont?«
Joach kniff die Augen zusammen. Nur mit Mühe konnte er in der Ferne einen einzelnen Berg erkennen, dessen Umrisse im Mondlicht schimmerten. »Was ist das?«
»Der Alkazar. Meine Heimat.«
Joach sah auf sie hinab. Sie hatte Tränen in den Augen. Er ließ ihre Hand los, legte ihr den Arm um die Schultern, zog sie an sich und hielt sie ganz fest.
Und die kalte Meuchlerin schmiegte sich an ihn und war nur noch eine Frau.
Richald lag auf seiner dünnen Decke. Unter ihm hatte sich der Sand seinen Körperformen angepasst. Draußen war es längst still geworden, nur er fand keinen Schlaf. Der Heiler der Stammes hatte ihm ein schmerzstillendes Mittel gegeben, aber in seinem gebrochenen Bein pochte es immer noch dumpf. Die übrig gebliebenen Mitglieder seiner Besatzung lagen zusammengerollt um ihn herum und schliefen. Leises Schnarchen erfüllte das große Zelt.
Er schloss die Augen. Obwohl er Meilen weit von seinem Schiff entfernt war, konnte er es noch spüren. Er hatte die Planken seines Decks in seinem ganzen Leben nur selten verlassen. Deshalb war es, als hätte er mit der Adler einen Teil von sich selbst eingebüßt. Er fühlte sich nackt und verwundbar.
Das Gespräch mit Joach fiel ihm wieder ein, sein Verzweiflungsausbruch. Wie töricht, dachte er. Ein königlicher Prinz zeigte keine Schwäche und winselte auch nicht um Vergebung, schon gar nicht vor einem Halbblut wie diesem Joach.
Dabei wusste er im Innersten, dass er die Stärke des jungen Mannes brauchte. So oft er auch an Joach herumnörgeln mochte, der Junge hatte sich seine Achtung erworben. Er hatte sich seines königlichen Blutes würdig erwiesen, früher schon und nun auch auf dieser Reise. Joach hatte ihn so lange provoziert, bis er jenes letzte Quäntchen Kraft aufgebracht hatte, das nötig gewesen war, um das Schiff über die Sonnenspiegelkrautfelder zu fliegen. Wäre der Junge nicht gewesen, sie wären womöglich alle umgekommen. Joach hatte Richald die Kraft gegeben, sich auf seine Ehre zu besinnen und seine Elementarfähigkeiten voll auszuschöpfen.
Und Richald hatte diesen letzten Flug genossen, auch wenn ihn der Verlust seines Schiffes in tiefster Seele schmerzte: den Wind im Gesicht, das Knattern der Segel, den Tanz der Flammen, sogar den unerträglichen Schmerz, als das Schiff unter ihm entzweibrach. Nie hatte er sich lebendiger, nie so voller Energie gefühlt. Er war für das Leben der anderen verantwortlich gewesen. Nur sein Einsatz hatte sie vor dem Tod bewahren können.
Seine Augen füllten sich mit Tränen. Diese Erfahrung verdankte er Joach.
Richald verschob die Hüfte ein wenig. Ein stechender Schmerz durchzuckte sein Bein. Doch das half ihm, sich zu konzentrieren. Als Verletzter war er hier in der Wüste eher eine Last als eine Bereicherung. Deshalb sollte er bis zu seiner Genesung im Alkazar bleiben, während sich die anderen weiter um die Zerstörung des Basilisken Tors bemühten. Und das nagte an ihm das war der eigentliche Grund, warum er keinen Schlaf fand. Er stand in Joachs Schuld, und das konnte er nicht auf sich sitzen lassen.
Aber wie sollte er sich erkenntlich zeigen? Wie konnte er sich als elender Krüppel noch nützlich machen?
Richald starrte zum Zeltdach empor. Sollte er jemals Gelegenheit dazu bekommen, dann würde er sich bei Joach revanchieren.
»Das schwöre ich beim Blut meiner Familie«, flüsterte er.
Das Gelübde erleichterte ihn. Vorsichtig, um seinem Bein nicht zu schaden, wälzte er sich auf die Seite. Jetzt würde er endlich schlafen können.
Mitten in der Nacht schrak Joach jäh aus dem Schlaf. Ihm war, als hätte ihn jemand im Dunkeln beim Namen gerufen. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Er richtete sich auf und sah sich um. Das kleine Zelt war bis auf ein paar Bündel und Taschen so gut wie leer. Er schlug die Decke zurück und wälzte sich, nackt bis auf ein Paar Baumwollhosen, von der dünnen Matratze. Die kühle Nachtluft strich ihm über die Haut. Er lauschte angestrengt. Was mochte ihn nur geweckt haben?
Von draußen war nur ein leises Rauschen zu hören, wenn der leichte Nachtwind durch die Bäume fuhr. Dennoch fröstelte Joach.
Er trat an die Zeltklappe, hob eine Ecke an und spähte hinaus. Es war dunkler geworden, seit er nach dem Spaziergang mit Kesla ins Bett gekrochen war.
Vor dem Zelt erkannte er hinter einigen Bäumen den Platz in der Mitte des Lagers. Als sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt
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