Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
hatten, entdeckte er dort eine schemenhafte Gestalt, die den Arm hob und ihm zuwinkte.
Joach zögerte und blickte nach rechts und nach links. In der Oase brannte nirgendwo Licht. Aber er wusste, dass man überall im Tal Wachen aufgestellt hatte. Sie würden sofort Alarm schlagen, wenn ein Unbefugter das Gelände betrat.
Er biss sich auf die Unterlippe und schlüpfte durch die Zeltklappe ins Freie. Jetzt spürte er den kalten Nachtwind bis in die Knochen und schlang beide Arme um den nackten Oberkörper.
Die schwarze Gestalt wartete reglos.
Joach unterdrückte seine Angst und trat näher. Bald konnte er den nächtlichen Besucher genauer sehen: den kahlen Schädel, die kupferbraune Haut und die durchdringenden Augen, die so hell funkelten wie der Mond. Es war der Schamane des Stammes.
Sein Schritt wurde fester. »Schamane Parthus.«
»Joach Morin’stal.« Die Stimme war so rau und kratzig wie fliegender Sand.
»Kann ich irgendetwas für dich tun?« fragte Joach zaghaft. Er hatte seine Nervosität noch nicht ganz abgelegt.
Der Schamane antwortete nicht, sondern bedeutete ihm nur, sich zu ihm zu setzen. Dann ließ er sich mit untergeschlagenen Beinen im Sand nieder.
Joach war es peinlich, vor dem Älteren zu stehen, also hockte er sich ebenfalls auf den Boden. Erst jetzt bemerkte er die kleine Knochenschale vor den Knien des Schamanen. Sie war mit daumengroßen Nüssen gefüllt.
Parthus war sein Blick nicht entgangen. »Gre’nesch Kerne.«
Joach fiel wieder ein, was Kesla von den Samen erzählt hatte. Zerstoßen und mit Wasser verdünnt, ergaben sie ein starkes, berauschendes Bier, pur gegessen aber halfen sie angeblich den Schamanen der Stämme bei geheimnisvollen Ritualen.
Parthus nahm die Schale und reichte sie Joach. Der junge Mann nahm einen Kern, der Schamane bediente sich ebenfalls.
»Das verstehe ich nicht«, murmelte Joach.
»Du bist ein Schamane. Ich habe es dir sofort an den Augen angesehen, als du Oo’schal betreten hast.«
Joach schüttelte den Kopf. »Ich besitze die Gabe des Traumwebens, mehr nicht. Das macht mich noch nicht zum Schamanen.«
Parthus sah ihn mit seinen strahlenden Augen eindringlich an. »Wir werden sehen.« Dann steckte er sich einen Gre’nesch Kern in den Mund, zerbiss ihn mit lautem Knacken und nickte Joach aufmunternd zu, es ihm gleichzutun.
Joach zögerte kurz, dann schob er sich den Kern zwischen die Backenzähne und biss zu. Sofort breitete sich in seinem Mund ein bitterer Geschmack aus, der ihn zum Würgen reizte.
»Wehre dich nicht«, sagte der Schamane. Es klang so verträumt, als wäre er dabei einzuschlafen.
Joach sah ihm fest in die Augen. Seine Zunge kämpfte gegen die Bitterkeit an, sein Mund füllte sich mit Speichel, um den Geschmack fortzuspülen. Joach umklammerte mit den Händen seine Knie und schluckte krampfhaft. Zunächst spürte er gar nichts, nur Erleichterung, das bittere Zeug losgeworden zu sein.
Der Schamane nickte wieder und spuckte die leere Schale aus; Joach tat es ihm nach.
Der bittere Restgeschmack reizte ihn zum Husten. »Was nun? Gibt es …« Doch schon löste sich die Welt auf. Bäume und Zelte, Wasser und Himmel alles zerrann. Nur zwei Dinge blieben zurück: der endlose Sand und die einsame Gestalt des Schamanen Parthus, der ihm immer noch gegenübersaß.
Joach legte den Kopf in den Nacken. Der Nachthimmel war leer ohne Sterne, nur eine endlose glatte Fläche, die sich nach allen Seiten hin bis zum Horizont erstreckte. Doch die fremde Landschaft war nicht dunkel, sondern so hell, dass er die Augen zusammenkneifen musste. Der Sand leuchtete in dem gleichen Licht, das ihm auch aus den Augen des Schamanen entgegenstrahlte.
Joach sah sich erstaunt um. Bei aller Fremdheit war ihm die Landschaft doch irgendwie vertraut. Er war schon einmal hier gewesen. Erst letzte Nacht hatte er von diesem Ort geträumt. Am nächsten Morgen hatte er geglaubt, der Sandtraum hätte lediglich die Mühen des Tagesmarsches wieder aufgenommen. Doch jetzt war er zurückgekehrt.
Parthus erhob sich geschmeidig und reichte ihm die Hand. »Komm. Es wird Zeit für dich, durch die Traumwüste zu wandeln.«
Joach starrte den Mann mit offenem Mund an, ließ aber zu, dass er ihn mit festem Griff auf die Beine zog. »Wo sind wir überhaupt? Was ist diese Traumwüste?«
»Der Gre’nesch Kern hat unsere Seelen aus dem Körper gelöst. Und wenn eine befreite Seele eingestimmt ist auf die Elementarenergie des Sandes, wird sie hineingezogen in den endlosen Traum der
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