Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
irgendwie zurechtkommen. Und was die Zwerge angeht, so werden sie wahrscheinlich glauben, die Geister hätten uns längst aufgefressen.«
Es war ein schwacher Trost, aber er nickte und stolperte etwas weniger bedrückt zum Feuer zurück.
Mikela schüttelte den Kopf. Trotz ihrer aufmunternden Worte hatte Mogwied mit seinen Bedenken auch bei ihr Zweifel geweckt. Worauf hatten sie sich da nur eingelassen?
Als ihre Mägen nicht mehr ganz so laut knurrten, brachen sie das Lager ab und machten sich wieder auf den Weg. Ni’lahn griff zu ihrer Laute, Ferndal durchstreifte die nähere Umgebung. Der Rest der Gruppe stapfte hinter den beiden her. So legten sie langsam Meile um Meile zurück. Es wurde nur wenig gesprochen.
Kral hatte die Nachhut übernommen, um den anderen den Rücken zu decken. Doch das stellte sich im Laufe des weiteren Nachmittags als unnötig heraus. Kein einziger Grim ließ sich blicken. Nicht einmal von ferne war ihr Geheul zu hören. Kral eilte nach vorn zu Mikela. »Die Ruhe ist mir nicht geheuer«, murmelte er.
Mikela nickte und runzelte die Stirn. Die kleine Schlange, die sie stets bei sich trug, wurde unruhig und legte sich fester um ihren Arm. Auf der langen Reise war ihr immer wieder aufgefallen, wie gereizt das Tierchen auf die Nähe des großen Gebirglers reagierte. Bisher hatte sie die starken Elementarenergien des Mannes dafür verantwortlich gemacht. Aber warum verhielt sich die Schlange dann nicht auch bei Merik oder Tyrus so? Die beiden verfügten in nicht geringerem Maße über die Gabe der Magik. Da Mikela keine befriedigende Antwort fand, verdrängte sie ihre Zweifel und konzentrierte sich lieber auf die unmittelbarere Gefahr.
»Die Grim werden schon seit Tagen zunehmend scheuer«, sagte sie und sah in den stillen Wald hinein. »Vielleicht ist es Ni’lahn mit ihrer Musik schließlich doch gelungen, sie ganz zu vertreiben.«
»Was für eine Musik?« brummte Kral.
Mikela setzte zu einer Antwort an, als ihr aufging, dass der Gebirgler Recht hatte. Die Laute der Nyphai war verstummt. Mikela blickte nach vorn. Die kleine Frau war ihnen weit voraus und stand wie erstarrt auf einer kleinen Anhöhe.
»Da stimmt etwas nicht«, sagte Mikela und eilte ihr nach.
Kral folgte Mikela. Merik und Tyrus schlossen sich ihnen an.
Gemeinsam rannten sie auf Ni’lahn zu. Die Nyphai starrte weiterhin ins Leere. Die Laute lag unbeachtet in ihren kraftlosen Händen.
»Was hat sie denn?« stieß Tyrus atemlos hervor, als sie die Hügelkuppe erreichten. Aus den grauen Wolken rieselten Schneeflocken. Bald würde die Sonne untergehen.
Mikela sah erst Ni’lahn an, dann folgte sie ihrem Blick. Unter ihnen lag in einer Senke ein kleiner See. Die Augen der Nyphai hingen an einem riesigen Baum, der am anderen Ufer stand. Sein Stamm war so dick wie ein kleines Haus, und er ragte aufrecht wie ein Schwert aus einem Gewirr bizarr verkrümmter Artgenossen hervor. Seine kahlen Äste reckten sich, als wollten sie den müden Wanderern die Hand reichen. Der Baum wirkte zwischen seinen misshandelten Gefährten vollkommen fehl am Platze.
»Ni’lahn?« fragte Mikela freundlich.
Die Nyphai versuchte zu sprechen, brachte aber kein Wort heraus. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und versuchte es noch einmal. »Das ist mein Baum.« Endlich wandte sie sich Mikela zu. Jetzt liefen ihr die Tränen über die Wangen, und sie wurde von Schluchzern geschüttelt. »Das ist … Das ist mein Zuhause.«
Ni’lahn fiel auf die Knie. Der Schmerz war übermächtig. Da stand ihr Liebster, so hoch, so stattlich. Auch ohne das satte Grün und die schweren violetten Blüten hatte Ni’lahn ihn an seiner Form erkannt. Sie hätte freilich nicht erwartet, ihren Gefährten so unversehrt wieder zu finden. Er schien nicht leblos und entseelt zu sein, sondern nur zu schlafen. Sie konnte sich nicht satt sehen am Anblick ihres Baumes. Dabei hatte sie gar nicht vorgehabt, in seine Nähe zu kommen, da sie ja ahnte, wie schmerzlich das sein würde. Doch ihre müden Füße hatten sie wohl von selbst hierher geführt, unwiderstehlich angezogen von der einzigen Heimat, die sie je gekannt hatte.
Mogwied trat zu ihr. »Er sieht so … so normal aus.«
Ni’lahn wischte sich die Augen. »Ich weiß. Ich verstehe es auch nicht … Die Fäule …« Sie deutete mit weit ausholender Gebärde auf den übrigen Wald.
»Komm«, sagte Mikela freundlich und half ihr beim Aufstehen. »Willst du nicht zu ihm gehen?«
Ni’lahn hielt sich die Hand vor
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